Wir betrachten die Welt und gehen davon aus, die anderen sehen das gleiche Bild. Vielleicht aber machen wir uns die Bilder nur. Und verhandeln dann, was wir gesehen haben.
Wir gehen gerne davon aus, wir würden an einem gleichen Ort und unter gleichen Bedingungen alle das gleiche sehen, besser: das gleiche wahrnehmen. Wir gehen davon aus, in unserem Kopf entstünden gleiche, zumindest weitgehend ähnliche Bilder. Wir würden die Bedeutung der Bilder so deuten wie die anderen, diese identisch interpretieren, also im Grunde zu übereinstimmenden Schlussfolgerungen kommen.
Aber ist das so? Vermutlich ist alles ein wenig komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Vieles wirkt doch so sicher, so eindeutig, als wäre die Welt um uns herum für uns alle verbindlich. Wir vermuten gerne universale Situationen, universal gültige Aspekte (lat.: aspectus Anblick, Ansicht).
Dinge und Orte bzw. Kombinationen aus all dem, die eine allgemein gültige Wirkmacht aus uns ausüben und die wir alle gleich wahrnehmen müssten.
Wenn wir um ein Lagerfeuer sitzen, liegt die Vermutung nahe, dieses Feuer rege eine archaische Seite in uns an. Ein Trigger in unserer Wahrnehmung, tief in unsere Existenz angelegt. Eine Art der Superinstanz in unserer Persönlichkeit, gegen die wir uns kaum wehren können. Ein Ort in uns, an dem wir alle gleich wären, das vermeintlich gleiche auch gleich interpretieren, identische Schlussfolgerungen bilden und damit dasselbe Ergebnis. Aber das ist vermutlich nicht so.
Gerne vermuten wir vor allem in den Erscheinungen der Natur fixierte Referenzen, Motive, die alle das gleiche in uns auslösen. Ein schattenspendender Baum, ein Blitz aus düsteren Wolken, ein Sonnenuntergang hinter einem endlos scheinenden Horizont.
Man könnte natürlich an dieser Stelle mit dem Lesen aufhören und über Spitzfindigkeiten spekulieren. Es wäre doch empirisch belegbar, dass gemeinsame Wahrnehmungsmuster existieren, die von Menschen generell und ohne extremen Unterschied in einer nahezu identischen Weise wahrgenommen werden.
Und seien es auch nur gleiche Wahrnehmungen, die als emotionaler Effekt zu deuten wären. Man könnte sagen, das wäre ein Faktor unserer Instinkte, wie auch unserer sozialen Intuition, einer geteilten kulturellen Prägung oder ein Ergebnis vergleichbarer Bildung.
Denn es ist ja richtig. Wärme wird als angenehm empfunden. Rötliches Licht gehört vermutlich dazu. Ein Ort, der Schutz bietet, gilt in gemeinsamer Weise als erstrebenswert. Ein plötzliches Aufflackern am Himmel, gefolgt von einem lauten Knall führt vermutlich immer zu Aufschrecken.
Aber darum geht es nicht. Es geht um die Frage, wie wir Wirklichkeit definieren bzw. wie wir unter einer Aura der Wirklichkeit unser soziales Miteinander gestalten.
Es geht um unseren [scheinbaren] Zwang zur Kommunikation, die Sprache als sozialer Trigger für unsere Position mit- und zueinander. Es geht im Weiteren um die Formen des Lernens [2], der permanenten Veränderung unserer Kompetenzen [2] und damit den damit verbundenen [konkreten] Handlungen.
Der französische Philosoph Jacques Derrida, 1930 – 2004, einer der zentralen Vertreter bzw. Vordenker zum sogenannten Dekonstruktivismus bezog sich in seinen Arbeiten oft auf die Sprache. Er nutzt den Begriff Iteration und meinte damit den Gebrauch von Sprache.
Jede Wiederholung (Iteration) verändere durch den Gebrauch des Wortes die Bedeutung desselben. Das Wort würde dadurch nie wieder die Bedeutung haben wie davor. Es entstünde zwingend eine Variante des Wortes und damit auch aller damit verbundenen Deutungen und ihrer Inhalte.
Diese Position von Jacques Derrida grenzt sich klar von der Hermeneutik und deren Vertreter ab (zum Beispiel Hans-Georg Gadamer, 1900 – 2002).
Die Hermeneutik geht von einer eindeutigen Deutung von Texten und damit verbunden, einem sinnstiftenden Dialog zwischen Text und Interpret aus.
Texte und damit die kombinatorische Interpretation der einzelnen Wörter, also deren Sinnzusammenhang, wären dann für alle Rezipienten eindeutig, wenn sie über die gleichen Fähigkeiten zur Interpretation verfügten.
Natürlich kann man nun die Position vertreten, dies wären akademische Details ohne grosse Bedeutung auf die jeweilige Lebenswirklichkeit. Es wäre doch schlichtweg so, wir verbringen unser Leben mit der Logik zur Anhäufung von mehr oder weniger grossen, mehr oder weniger bedeutenden Gewissheiten. Damit entstünde Lernen und Veränderung.
Und dabei generieren wir, teilweise bewusst, meist aber unbewusst, einen Hügel der Chronologie unseres Lebens, der mit der Beständigkeit der Zeit unter uns wächst, unsere Position, unseren Überblick über die Dinge des Lebens weitet und damit auch unsere Sicherheit in Relation der Vielfältigkeit potenzieller Erfahrungen stärkt. Und so könnte man dies auch lapidar als Erfahrung bezeichnen.
Doch das meine ich nicht. Was ich meine, ist der Prozess innerhalb der Kommunikation als ein permanenter Abgleich der Welten, mit denen wir anderen (bzw. einander) begegnen. Das beginnt mit einem unbewussten oder teilbewussten Körperreflex, wenn wir einer Person begegnen, die im gleichen Augenblick durch den Eingang in einen Bahnhof gehen will, meint aber auch den komplexen Austausch mit anderen Menschen, welcher für uns eine lebensentscheidende Richtungsänderung bedeuten kann.
Es geht daher um die Art und Weise, wie wir uns die Welt nicht nur erklären, sondern permanent aus dem Beobachteten, dem Erfahrenen und damit auch den Rückschlägen Neues schaffen, wir dabei lernen, das Lernen im Tun zu verändern, also wirklich neu denken und daraus Lösungen entwickeln.
Auch wenn wir in der Folge damit oft neue Probleme schaffen.
Der folgende Teil dieses Textes ist aus dem Jahr 2006 und inhaltlich etwas theoretischer bzw. technischer in der Sprache. Aber das passt zum Thema.
Im philosophischen bzw. dem lernpsychologischen Konstruktivismus wird im Zusammenhang zur Position einer individuellen Wahrnehmung die Notwendigkeit der permanenten Bildung von Konsens zwischen zwei oder mehr Personen genannt.
Die Zukunft ist vor diesem Hintergrund immer und komplett unsicher, nicht voraussagbar und rein spekulativ.
Die Gegenwart, man könnte auch sagen, der sich permanent verändernde Augenblick bildet ständig Konsens über das Wahrgenommene und damit über die individuelle Wirklichkeit des Betrachters.
Über diesen Prozess lässt sich im Prinzip auch grundsätzlich die menschliche Fähigkeit zur Variantenbildung und damit zur Veränderung des Bestehenden erklären. Grundlage jedes [bewussten] Willens zu einer Veränderung kann man zu guten Teilen sicher in den jeweiligen kulturellen Rahmenbedingungen sowie dem Grad der gefühlten Freiheit suchen, in der ein Mensch agiert.
Der Konstruktivismus hat seine definitorische Ausrichtung im Lernen durch das Erleben, durch die eigene individuelle Erfahrung, die situative Bildung von Kontext, also auch die damit verbundene Kausalität einer Betrachtung. Damit entsteht das kommunikative, man könnte auch sagen: das interaktive Granulat für den Austausch mit anderen Menschen.
Jede Wahrnehmung wird über Kommunikation zu einer gemeinsamen Wirklichkeit verhandelt und führt zu einem permanenten Abgleich derselben. Dieser Prozess ist nie beendet.
Im Vergleich dazu (innerhalb der Lernpsychologie) ist im Instruktivismus der Gegenstand der Betrachtung gleichgesetzt mit der Wahrheit bzw. der Gegenstand des Lernens und existiert unabhängig vom Individuum als objektiver Sachverhalt.
Dieser kann und muss korrekt erkannt, erschlossen und erarbeitet werden. In diesem Kontext basiert die Idee von Lernen und damit auch der damit verbundenen individuellen Erfahrung in permanenter Wiederholung der fixierten Realität, die keine Variation in der Betrachtung (Widerspruch) duldet.
Die Vermittlung des Gegebenen (instruktiv) steht im Zentrum aller Aktivitäten.
Selbstverständlich spielt ein instruktiver Prozess in der Vermittlung (also auch innerhalb einer Lernsituation) je nach dem jeweiligen Themengebiet eine mehr oder weniger bedeutsame Rolle.
Lernen, jede Reflexion der Welt hat eine Phase der Sicherung, der Bildung einer Grundlage.
Das Wiederholen, das Spiegeln und damit das Kopieren ist ein archaischer Prozess der Entwicklung des Menschen in seinen unterschiedlichen Altersstufen, welcher nicht nur in jungen Lebensphasen, sondern grundsätzlich in jeder neuen Situation einen gewissen Anteil der Verarbeitung von allem Neuen übernimmt.
Die Bedeutung aus dem lateinischen instruere spricht von vorbereiten, von unterweisen oder anweisen. In jedem Fall wird eine Phase beschrieben, in der die Grundlage für einen weiteren, einen eigenständigeren Erkenntnisschritt geschaffen wird.
Im Instruktivismus aus einer pädagogischen Perspektive ist die Lehrperson eine Art Kommunikator, die etwas Neues grundlegend vermittelt, Ziele vorstellt und damit jenes Neue, Grundlegende mit bereits Bekanntem verknüpft, über Wiederholung und Übungen vertieft und schliesslich durch eine Form der Kontrolle auf die erreichte Substanz (bei denen, die lernen sollen) überprüft.
Diese Beschreibung folgt eher einer klassischen, konservativen Form der Vermittlung von Inhalten und Wissen. Im Idealfall und abhängig von der lehrenden Person werden die zu vermittelnden Inhalte nicht in sich geschlossen, sondern offen (kontextuell) präsentiert.
Es entsteht ein Wechselspiel in der Art der Führung durch die Lehrperson (wissensorientierte Exposition – nicht zu verwechseln mit Konfrontationstherapie) und der Selbsttätigkeit durch jene Person, die mit den neuen Inhalten konfrontiert wird (Exploration [2], im Sinne von erkunden).
Im idealen Fall werden dabei vier Phasen der Vermittlung für den Rezipienten (die Lernenden) unterschieden:
01 Initationsphase (ein erstes motivierendes, überraschendes Moment)
02 Explorationsphase (das Erkennen von Relevanz und einer Lösungsvermutung)
03 Objektivierungsphase (das Verstehen und die adäquate Reproduktion)
04 Integrationsphase (die Übernahme in den Alltag bzw. die Produktivität)
Wer mag, kann dazu auch einen Text lesen (Lernprozesse), in dem ich über acht Phasen der Wahrnehmung und der damit verbundenen Internalisierung schreibe bzw. spekuliere.
Die Kernprobleme einer eher instruktiven Vermittlung von Inhalten (und damit auch der vermeintlichen Vermittlung von relevantem Wissen) liegen in der Statik und der engen Variationsbreite der jeweiligen Ansätze.
Die Rezipienten spielen meist nur eine untergeordnete Rolle mit keiner oder sehr geringer Mitbestimmung über die Inhalte. Darüber hinaus handelt es sich um ein eher starres bzw. ein konfrontatives System (one-to-many). Spezielle Belange und Anliegen Einzelner können nur bedingt berücksichtigt werden.
Letztlich liegt eine besondere Herausforderung (abhängig von der lehrenden Person) in einer sinnvollen Ausgewogenheit zwischen dem Anspruch an Führung und der Notwendigkeit an Exploration bzw. der Entscheidung durch die Rezipienten und einer damit einhergehenden Selbststeuerung.
Diese Beschreibung ist dahingehend bedeutend, da die Übergänge unterschiedlicher Formen der Vermittlung (innerhalb der Lehrsituation und darüber hinaus) immer fliessend sind und aus vielen Ansätzen (Methoden) wertvolle bzw. verwertbare Verfahren erkenn- und nutzbar werden.
Aus der pädagogischen Perspektive des Konstruktivismus ist die Vermittlung von Inhalten grundsätzlich ein Angebot zur Reflexion an die Rezipienten bzw. eine Art Vorschlag einer Wirklichkeit.
Die Basis dazu kann in folgenden Leitsätzen zusammengefasst werden.
Es existiert kein Gegenstand bzw. nichts ist unabhängig von der rezipierenden Person und der Wahrnehmung dieser.
Damit gibt es keinen objektiven Nullpunkt, auf den sich eine gemeinsame Sicht beschreiben ließe. Jede Form einer absoluten Verbindlichkeit ist dadurch unmöglich.
Eine Wahrnehmung der Welt ist ohne individuelle Wahrnehmung und den permanenten Abgleich mit anderen Wahrnehmungen als sozialer bzw. kooperativer Akt nicht möglich.
Wahrnehmung ist immer und ausnahmslos subjektiv.
Bei Wikipedia wird zum Thema Konstruktivismus folgende Definition angeboten:
Der Konstruktivismus in lernpsychologischer Hinsicht postuliert, dass menschliches Erleben und Lernen Konstruktionsprozessen unterworfen ist, die durch sinnesphysiologische, neuronale [2], kognitive und soziale Prozesse beeinflusst werden.
Seine Kernthese besagt, dass Lernende im Lernprozess eine individuelle Repräsentation der Welt schaffen. Was jemand unter bestimmten Bedingungen lernt, hängt somit stark, jedoch nicht ausschließlich, von dem Lernenden selbst und seinen Erfahrungen ab.
Eine wesentliche Einschränkung findet sich bei dieser Definition in der Formulierung jedoch nicht ausschliesslich.
Die Aufnahme und Verarbeitung äusserer Reize als zentraler Aspekt jeder Wahrnehmungen und der damit verbundenen Erkenntnisprozesse (damit auch das Lernen selbst) folgt aus meiner Überzeugung sowohl instruktiver als auch konstruktivistischer Prinzipien.
Testüberschrift
Die Logik bzw. die zentrale Position des Konstruktivismus unterscheidet sich gegenüber der Festlegung im Instruktivismus in einem zentralen Merkmal.
Wie das Schaubild zeigt, ist die physikalische Welt nicht objektiv wahrnehmbar. Jedes Individuum reagiert auf die multisensorische Wahrnehmung der physiologischen Welt mit seiner [eigenen] psychologischen Welt.
Es wird eine Form der Wahrnehmung konstruiert, die durch den individuellen Unterschied bzw. die individuelle Interpretation gekennzeichnet ist.
Man könnte dies [siehe auch im Text weiter oben] mit dem Begriff der Internalisierung in Verbindung bringen. Menschen gestalten den Teil ihrer beeinflussbaren Lebensrealität vor dem Hintergrund sozialer Prägungen und Wertemechanismen.
Man könnte daher auch die These aufstellen, dass die damit verbundene Kommunikation nie ein isolierter Akt einer Person sein kann, sondern immer in das Geflecht aller Lebenserfahrungen eingebunden ist.
In einem Leitsatz dazu:
Die Worte der Sprechenden sind nicht ausschliesslich deren Worte.
Die Gesellschaft spricht immer mit.
Mit einem Blick auf das weiter oben gezeigte Schaubild:
Jede Wirklichkeit (Wirklichkeit 1) wird über einen Wahrnehmungskanal individuell verarbeitet.
Sobald daraus für das Individuum eine bewusste Wahrnehmung geworden ist (Relevanz erhalten hat) wird daraus eine Mitteilung generiert, die der umgebenden Aussenwelt als variante Wirklichkeit (Wirklichkeit 2) angeboten wird.
In diesem kommunikativen Prozess (unterschiedlicher Komplexität) findet die jeweilige Gegenwart in Form der Bildung von Konsens statt.
Die Wirklichkeiten werden verhandelt, abgeglichen und dienen, je nach der Situation, der individuellen Sicherheit, der emotionalen Reflexion [2], unter Umständen auch der psychologischen Reaktanz.
Der Konstruktivismus spricht hier von einer Kopplung zwischen individuellen Wahrnehmungen. Man könnte auch sagen, dass exakt dieser Punkt der Ort der Verhandlung ist, an welcher ein gemeinsamer Konsens entsteht.
Mit einer radikalen Perspektive lässt sich sagen, die Zukunft wäre durch maximale Unbestimmtheit und Unsicherheit gekennzeichnet.
Der Mensch als kulturell domestiziertes Wesen würde zwar im Normalfall ein hohes Maß an relativer Sicherheit des Augenblicks erreichen, eine unbedingte und umfängliche Sicherheit hat er nicht.
Dieser Aspekt ist selbstverständlich das Kennzeichen jeder Form von Leben. Im Zusammenhang mit der thematischen Zielstellung in diesem Text jedoch besonders relevant.
Es gibt nicht den Konstruktivismus. Vielmehr lassen sich unterschiedlich radikale Stufen unterscheiden. Dieser Text orientiert sich inhaltlich und verwertend weitgehend am sogenannten Erlanger Konstruktivismus. Folgende Definition von Wikipedia ist an dieser Stelle vielleicht hilfreich:
Programm und Ziel dieses Ansatzes methodischen Philosophierens besteht darin, die Erzeugung der Gegenstände einer Wissenschaft durch die Angabe der methodisch nötigen Schritte und normgebenden Regeln zu rekonstruieren, die ihrer methodisch kontrollierten und regelgemäßen Konstruktion oder Konstitution (Anm.: hier in einer allgemeinen Bedeutung) zugrunde liegen und beachtet werden müssen, wenn jene in der Tat verwirklicht werden sollen.
In anderen Worten könnte man sagen, diese Form des Konstruktivismus geht davon aus, dass das Erkennen, die Klärung gewisser Regeln oder Muster und deren Vergleich bzw. Adaption als Kern innerhalb des Konstruktivismus (Subjektivität der Wahrnehmung und Verhandlung der jeweiligen Wirklichkeit) nicht die ausschliessliche Position einnimmt und trotzdem eine Steuerungsebene bzw. Anwendbarkeit erlaubt, die eine Gefahr der kompletten Beliebigkeit [2] [3] dadurch ein wenig umschifft.
Mir ist schon klar. Das bietet nicht die gewünschte Klarheit. Das Ziel dieser Gedanken und Ausführungen ist auch nicht die wissenschaftliche Betrachtung als Selbstzweck, sondern ein, wenn auch nur grobes Verständnis für die Anwendbarkeit in der konkreten Praxis. Die Praxis in der Lehre, vor allem aber im Zusammenhang von Innovations- und Kreativmethoden.
Lernen im Konstruktivismus wäre also – in Bezug auf den Begriff Wahrheit – ein Wirklichkeitsvorschlag. Begründet wird dies damit, dass jede Wahrnehmung zuerst ein sinnfreier Impuls für die Sinnesorgane des Menschen darstellt, der neuronal an unser Gehirn weitergeleitet wird.
Der Konstruktivismus geht weiter und in unterschiedlich radikaler Deutungshoheit davon aus, dass das Gehirn für sich ein geschlossenes System ohne direkten, sinnesabhängigen Kontakt zur Aussenwelt darstellt (diese Position wird allerdings durch Erkenntnisse der Genetik bzw. der epigenetischen [2] [3] mit neuen Forschungsergebnissen mindestens ergänzt aber auch klar kritisiert).
Viellicht ist dazu auch der kurze Text mit dem Titel Gehirn im Tank interessant.
Jeder von aussen kommende Impuls wäre im Konstruktivismus einer interpretatorischen Konstruktion durch das Individuum unterworfen. Die jeweilige Verarbeitung basiere – und hier bleibt die Theorie schlichtweg offen und damit angreifbar – auf dem Untergrund ureigenster Vorerfahrungen und in Abhängigkeit von den situativen Bedürfnissen.
Wenn man diesem theoretischen Gedankenmodell noch für einen Moment folgt, dann ergibt sich die Frage, welche Motivation damit in Verbindung steht. Anders gefragt: Welches Motiv liegt für diesen – eher intrinsischen – menschlichen Umgang mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit vor?
Unbestritten ist vermutlich jede Wahrnehmung in einer frühen Phase eine sinnliche Aufnahme von Impulsen. Die Person kann diesen Impuls vor dem Hintergrund der Erfahrung bzw. genetischen, pränatalen und präsozialen Prägungen von anderen Impulsen unterscheiden, diesen Bedeutungen zuweisen und das Ergebnis der Unterscheidbarkeit der jeweiligen Umgebung [kommunikativ] mitteilen.
Hier ist die menschliche Sprache der wichtigste Transmitter für das im Konstruktivismus sogenannte Re-Entry der kommunikativen Abläufe. Jede Person braucht die Aussenwelt, eine wie auch immer geartete Reaktion [2] eines äusseren Systems (also das Gegenüber, vor allem eine Person), welches die wahrgenommene Unterscheidung deutet und dieser wiederum eine eigene Bedeutung zuweist.
Aus dem Vergleich dieser sogenannten Fremdreferenz zur Selbstreferenz entsteht eine Selbst-Wahrnehmung, die wiederum die individuelle Position im Zusammenhang einer bestimmten Situation (Gegenwart) erst ermöglicht und in der Folge festigt.
Findet dieser Prozess (Re-Entry) nicht statt, kann das jeweilige [menschliche] System (als Fremd- bzw. Selbstreferenz) sich nicht wahrnehmen, es kann nicht lernen, mit einer extremen Perspektive, es kann nicht überleben.
Der Mechanismus [2] dieses Prozesses sucht im Prinzip Relevanz für die eigene Existenz und damit den Sinn [2] [3] im Ablauf der Konsensbildung. Wenn die eigene Wahrnehmung mit der fremden übereinstimmt erlangt es das soziale bzw. kooperative Gleichgewicht (Konsens wird gebildet).
Werden die Vorstellungen, die angebotene Wirklichkeit nicht erfüllt, entsteht eine Störung [2] (es entsteht das Irrelevante und Sinnlose), welches in der Folge über eine Art Lernprozess aufgelöst werden muss.
Die Einführung zu Beginn dieses Textes hatte das Ziel, dem Thema einen etwas leichter verdaubaren Start zu geben. Ich will gerne abschliessend versuchen, die Gedanken rund um das Thema Konstruktivismus mit einem Zitat zu beenden, das eher als ein eindringliches Bild daherkommt.
Ein Gedanke, der vielleicht in der Einfachheit und Kürze mehr zum Ausdruck bringt, als es all die Ausführungen davor leisten konnten.
Es ist ein Zitat von Hermann Hesse, 1877 – 1962, ein Literat, der in den letzten Jahrzehnten ein wenig in Vergessenheit geriet.
Es wird immer gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht.
Hermann Hesse, 1877 – 1962, deutsch-schweizerischer Schriftsteller, Dichter und Maler
Wer doch lieber auf Papier lesen möchte, findet hier das PDF.
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© Carl Frech, 2023 (erster Teil, bis zum Trennstrich im Text) und 2006 (nach dem Trennstrich im Text).
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