Eine Information ist etwas, was sich von dem unterscheidet, was wir kennen. Und für uns Bedeutung hat.
Wie schon an verschiedenen Stellen ausgeführt, spielt unser Gesamtbewusstsein eine grosse Rolle für die Verarbeitung täglicher Einflussfaktoren. Es ist ein inzwischen bekannter Teil der allgemeinen Bildung, dass nur ein kleinerer Teil unseres Gehirns tatsächlich bewusst und damit entscheidend die Routinen jeden einzelnen Tages regelt und organisiert.
In der aktuellen Hirnforschung gibt es unterschiedliche Definitionen für den Schwellwert zwischen unbewusster und bewusster Wahrnehmung. Die meisten Studien liegen zwischen 90 Prozent und nahezu 100 Prozent unbewusster Verarbeitung von Informationseinheiten.
Die extremsten Positionen sagen also, dass der Mensch nur zu einem Bruchteil seiner eigenen Gehirnaktivität Einfluss auf das eigene Geschehen und damit auch das eigene Geschick nimmt.
Andrea Kiesel, Professorin für allgemeine Psychologie an der Albert-Ludwigs_Universität in Freiburg, stellt dazu fest: Um jedoch quantitativ abzuschätzen, wie viele Informationen unbewusst bleiben oder im Gegenteil bewusst verarbeitet werden, bräuchten wir eine klare Definition von »Information«.
Letztlich ist eine Informationseinheit eine Frage der Perspektive und der eigenen Distanz zur Information selbst.
Ein Beispiel: Wenn ich mit dem Auto auf einer Strasse unterwegs bin, ist die Information eines Stoppschildes auf einer parallel verlaufenden Strasse, welche ich in wenigen Minuten über eine Querverbindung auch erreiche werde, eine andere Information (Distanz zur konkreten Relevanz), als wenn ich auf dieser Strasse selbst fahre und von einer Nichtbeachtung direkt betroffen wäre. Zugegeben ist das ein recht simpler Vergleich im Zusammenhang der Komplexität des Themas. Allerdings illustriert dieser wenigstens im Grundsatz das Prinzip:
Ein Information ist nie komplett eingrenzbar, sie steht immer in einem systemischen Zusammenhang zu dem direkten oder indirekten Umfeld.
Was aber ist überhaupt eine Information? Es gibt etymologisch eine wenig belastbare, aber doch sehr schöne und für unser Thema zielführende Definition: Demnach gibt es eine lateinische Wurzel, die den Begriff Information mit der Sprachwurzel se formare, se fingere in Verbindung bringt und damit mit dem Begriff einritzen, etwas auf eine Fläche ritzen.
Die Idee vom Einritzen ist, wie gesagt, ein schönes Narrativ für den Begriff der Information. Es wird, wenn man das Ergebnis anders beleuchtet, eine Störung verursacht, welche mit dem Blick auf diese Fläche auffällt und dadurch mehr beachtet wird, als wäre diese Störung nicht da.
Mit dieser Beschreibung erhält jedes Strassenschild, jede erhobene Hand, jede Markierung auf dem Boden, jede Sirene auf der Strasse eine simple, aber eindringliche Bedeutung.
Die Information hat immer einen logischen und rational erfassbaren Zusammenhang zu einer konkreten Situation, einer konkreten Nutzung und damit Handlung.
Es kann, direkt oder indirekt, auch eine Handlungsanleitung sein, die sich graduell in der Intensität der Regel differenziert, die damit vermittelt wird. Eine schwache Regel wäre eine Form der Vermittlung mit einer schwachen Konsequenz, so wie wenn jemand im Vorbeifahren auf eine historische Kirche zeigt. Die Information wäre zum Beispiel: Das ist die Kirche, von der ich dir gestern erzählt habe. Die Regel bzw. die damit vermittelte Handlungsanleitung wäre: Wenn du jetzt nicht dort hinschaust, dann verstehst du nicht, was ich mit einer gotischen Kirche meinte und (Handlungsanleitung): Du wirst das bei einer anderen Kirche dann eben nicht selbst erkennen können.
Es ist mir vollkommen klar, man kann hier die Position einnehmen, dass der Begriff der Regel zu eng, zu statisch und undifferenziert verwendet wird. Es zeigt damit auch die Varianz der Sprache und deren Auslegung. Ab wann sprechen wir von einem Gebot, von einer Regel, von einem Verbot? Man kennt das Ampelprinzip der Kann-, Soll- und Muss-Regeln. Aber gibt es auch ein Kann-, ein Soll- und ein Muss-Gebot?
In der Ethik- und Religionswissenschaft, die eng mit dem Begriff des Gebots in Verbindung steht, wird damit eine verbindliche Anweisung gemeint. Ähnlich in der Rechtswissenschaft. Auch dort meint der Begriff (im Gegensatz zum Verbot) eine verbindliche Anweisung.
Allerdings nur zu einem (aktiven) Tun, also zum Beispiel: Wenn du vorhast, diese Strasse entlang zu fahren, dann zeigt dir dieses Vorfahrtsschild, dass du dem anderen Fahrzeug die Vorfahrt zu geben hast (Gebot). Wenn du das unterlässt und damit ein Unfall mit dem anderen Fahrzeug passiert, trifft dich die Schuld, da du Anweisung nicht umgesetzt hast.
Ein typisches Verbot in dem Zusammenhang wäre: Du darfst 10 Meter vor dem Vorfahrt beachten Schild nicht parken, da du damit ggfs. die Sicht auf das Schild verdeckst. Wenn du das machst, also das Verbot missachtest, wirst du direkt bestraft.
Eine Regel umfasst demnach ein weiteres Spektrum der informativen und damit auch kommunikativen Anwendung. Am deutlichsten wird diese Feststellung mit der Frage, ob es auch ein Kann-, Soll- oder Muss-Verbot geben könnte.
Die Unterschiede klingen kleinteilig, sind aber wichtig, da gerade die sprachliche Definition den Unterschied macht in Bezug auf das Thema Information in einem kulturellen Umfeld, dass zunehmend von einer sprachlichen Fraktalisierung geprägt ist.
Die Dynamik der Sprache und deren permanente Herausforderung durch die Mikroskopie unserer heutigen Medien (-kultur) treibt die Interpretationsräume für jeden Menschen in eine Kleinteiligkeit, die in einem angespannten bzw. mindestens in einem asynchronen Verhältnis zueinanderstehen.
Zwei Kräfte wirken hier besonders. Auf der einen Seite eine inflationäre Menge an informativen Fragmenten, die alle formal und inhaltlich ihre Allgemeingültigkeit und Eindeutigkeit in der Interpretation zu verteidigen suchen (wie anders soll man zum Beispiel den Umgang mit Nachrichten oder auch die Nutzung digitaler Medien im Alltag heute interpretieren) und auf der anderen Seite die gesellschaftliche Fragmentierung.
Man darf es sicher als eine kulturelle Errungenschaft, aber auch als eine sozialökonomischen Luxus bezeichnen, dass sich unsere heutige, überwiegend materiell und technokratisch ausgerichtete Gesellschaft eine solche Vielfalt sozialer Perspektiven erlaubt bzw. diese überhaupt erst möglich macht.
Die Information hat heute einen erstaunlich hohen Verteidigungsanteil, auch deshalb, da eine Deutung, Reflexion und Kritik nahezu in Echtzeit möglich ist und damit keine oder kaum Zeit zur Verteidigung bleibt. Vermutlich sind diese Prozesse unumkehrbar. Die Medientheorie beschreibt diese Entwicklung seit den 1970er-Jahren deutlich und mit wenig Hoffnung.
Der Begriff Simulakrum ist zwar wenig bekannt, thematisiert das hier Angesprochene aber recht gut. Es sind zunehmend Trugbilder (mediale Schimären), die durch ihre Unmöglichkeit einer Fixierung die Betrachter im Unklaren lassen und sie gleichzeitig als Referenten (im Sinne eines Gutachters) überfordern. Jeder Mediennutzer ist heute gleichzeitig Konsument und Exponent in Bezug auf den Inhalt selbst. Wie soll das funktionieren?
Ich will hier direkt aus einem Text aus Wikipedia zum Thema
Simulakrum zitieren und besonders die Position von Jean Baudrillard, 1929 – 2007, herausstellen:
Das Simulacrum ist auch ein zentraler Begriff in zeitgenössischen Theorien der Virtualität bzw. Virtualisierung insbesondere von … Jean Baudrillard. Baudrillard unterscheidet verschiedene historische Formen von Simulacren (Imitation, Produktion, Simulation) und beschäftigt sich besonders mit dem Simulacrum der Simulation als dem dominanten Simulacrum der durch Massenmedien bestimmten Gegenwartsgesellschaft. Das Kennzeichen dieses modernen Simulacrums besteht nach Baudrillard darin, dass die Unterscheidung zwischen Original und Kopie, Vorbild und Abbild, Realität und Imagination unmöglich geworden und einer allgemeinen „Referenzlosigkeit“ der Zeichen und Bilder gewichen sei.
Jean Baudrillard hat (nach meiner Erinnerung) in einem Interview einmal sinngemäß gesagt: Hauptsache, es bewegt sich.
Dieser kleine Satz ist eine Art Vexierbild, ein Motiv, das aus verschiedenen Seiten betrachtet werden kann.
Die scheinbar positive Aussage dreht sich und wohl ganz im Sinne Beaudrillards zügig in eine andere Richtung, da in diesem Satz auch die ultimative Trennung zwischen dem [informierenden] Medium und dem Inhalt zum Ausdruck kommt. Wobei dies den kritischen Kern der Aussage wohl noch nicht wirklich ausreichend erfasst. Im Spiegel seiner Schriften meint er damit wohl deutlich weitergehend nicht nur die Trennung zwischen dem Medium und dem Inhalt, sondern nahezu die Bedeutungslosigkeit des Inhalts im Zusammenhang eines permanent aktiven Mediums, das durch seine immersive Funktionalität eine Art Selbstzweck darzustellen scheint.
Diese Interpretation wird durch ein weiteres Zitat von Jean Baudrillard belastbarer:
Das Reale wird durch Zeichen des Realen ersetzt.
Ich stelle diesem gerne eine eigene Position und präzisierende Formel an die Seite, welche ich seit vielen Jahren in Vorträgen und Vorlesungen verwende:
Die Existenz erfordert Präsenz.
Die Präsenz wird zum Medium.
Das Medium wird zum Symbol.
Das Symbol ersetzt die Existenz.
In der von ihm sogenannten Simulationstheorie unterscheidet Jean Baudrillard drei Phasen der Entwicklung von Medien und damit auch deren Einfluss auf die darin eingeschlossene Information (auch drei Ordnungen des Simulakrums genannt):
Nach dem Zeitalter der Imitation und dem darauf folgenden der Produktion leben wir heute vornehmlich im Zeitalter der Simulation. Damit meint Baudrillard die Trennung des Zeichens von dem, was damit bezeichnet werden soll. Es verliert damit seine Referenz zu dem Eigentlichen, dem, was das Bedeutsame sein könnte. Wenn man den Begriff der Referenz als eine Art Zeiger begreift, also das, was klar und eindeutig in eine Richtung weist und damit zum Ausdruck bringt: Ich bin exakt das Zeichen für diesen Inhalt und damit für diese Information.
Baudrillard positioniert sich dabei in einer gewissen Hoffnungslosigkeit und postuliert die Auflösung einer entschlüsselbaren Botschaft, die über die öffentlich zugänglichen Medien angeboten werden. Vielmehr vertritt er die Haltung (ein wenig mit dem Anklang einer verschwörerischen Theorie), dass diese Medien nur dem übergeordneten System der Gesellschaft dienen und nur den Anschein eines freien Zugangs zu Informationen suggerieren, dass sie vielmehr dem Zweck dienen, damit Gesellschaften generell nach ökonomischen Prinzipien ausgerichtet und manipuliert werden können.
So weit würde ich nicht folgen. Allerdings darf man durchaus den Gedanken Marshall McLuhan, 1911 – 1980, folgen, dessen wohl bedeutendster Satz The Medium is the Message das Postulat moderner Medientheorie zum Ausdruck bringt.
Gleichwohl will ich dem Gedanken einen darauf aufbauenden hinzufügen, da ich der Überzeugung bin, dass die Entwicklung der kultur- und meinungsbildenden Medien bereits einem Ablösungsprozess unterworfen sind. Mit einem Leitsatz könnte man daher auch sagen:
Das Medium emulgiert mit der Botschaft und implodiert in die Unendlichkeit der damit möglichen Kombinationen.
In Anlehnung zu dem Begriff der Simulation, welcher immer noch die äussere Welt zum simulieren, als eine Art Bezugsgrösse oder Bezugsformat braucht, spreche ich mit dem Blick auf die aktuellen und (soweit absehbar) zukünftige (mediale) Vermittlungskultur eher von Permutation.
Damit soll zum Ausdruck kommen, dass weder der Inhalt noch das Medium relevant ist, sondern die Kombinatorik, die sich aus der Unendlichkeit der potenziellen Inhalte immer neu organisiert. Nun könnte man meinen, dass damit jedem neuen Gedanken, jeder neuen Idee (und damit auch jeder Innovation) das Ende vorausgesagt wäre.
Mit einer Portion Lockerheit und holistischer Perspektive kann man aber auch mutig postulieren:
Jede Entwicklung ist eine Substanz im Substrat der Universalität.
Das klingt abstrakt und etwas sperrig beim schnellen lesen, beschreibt aber eine wichtige Grundüberzeugung:
Jede Entwicklung ist ein originärer Teil von Allem, damit auch schon immer eine Anlage der Möglichkeiten, die in unserer Welt als Ganzes angelegt ist und damit auch Teil der Realität werden kann.
Ich habe im Verlauf bzw. zum Beginn dieser Ausführungen vor allem über die faktischen Komponenten von Information als Ausdruck von Handlungsorientierung reflektiert.
Nun kann man leicht fragen, ob man das viele Andere, das einem jeden Tag ins Auge fällt, das einem auffällt, auch eine Information ist oder eben etwas anderes?
Anders gefragt: Gibt es eine Form individueller Wahrnehmung, die keine informativen Anteile (und damit Verwertbarkeit für die Betrachterin, den Betrachter) mehr hat, sondern einer anderen Kategorie zugewiesen werden sollte.
Folgende Beispiele sollen die Zunahme von Distanz zwischen der Betrachtung und dem Betrachteten deutlich machen und das allmähliche Verschwinden einer Information, wie sie in diesem Text definiert wurde:
Eine andersfarbige Stelle auf dem Brot, von dem seit einigen
Tagen nicht gegessen wurde. Ein Geruch in einem Treppenhaus, der an ein anderes Treppenhaus zu einer anderen Zeit erinnert. Ein alter Ast auf dem Boden, der wie der Kopf einer Schlange aussieht. Eine Melodie, die ohne jeden Zusammenhang eine Erinnerung an einem Menschen wachruft, den man seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat.
Es wird hoffentlich deutlich, dass der Begriff Information über diese vier Beispiele zunehmend schwächer wird.
Tatsächlich ist die strenge Abgrenzung zwischen dem, was als Information und dem, was als Inspiration bezeichnet werden könnte, sehr fliessend und nicht wirklich greifbar. Menschen treffen diese Entscheidungen zur Unterscheidung auch nicht bewusst. Warum auch? Leben folgt selten einem Algorithmus, einem inkrementellen Ablauf, sondern eher dem Narrativ dessen, was einem auffällt, was sich geradezu aufdrängt und damit irrational in unser waches Bewusstsein fällt (um dann vermutlich in unserem Unterbewusstsein weiter zu wirken).
Auch wenn die folgende Beschreibung noch diffuser scheint, sie trifft einen wichtigen Kern meiner Überzeugung sehr gut:
Leben folgt auch dem Diffusen, dem Zufälligen.
An diesem Punkt würde sich natürlich auch eine ideologische bzw. der Religion zugewandte Türe öffnen lassen, um dann vermutlich die Subjektivität unserer Wahrnehmung noch deutlicher machen.
Es bleibt am Ende die Frage nach dem, was Information, wenn wir diesen Begriff eingrenzen wollen, tatsächlich bedeutet?
Und damit bekommt eine Definition zu Beginn diese Textes noch einmal eine vielleicht prägnantere Bedeutung:
Ein Information ist nie komplett eingrenzbar, sie steht immer in einem systemischen Zusammenhang zu dem direkten oder indirekten Umfeld.
Wer doch lieber auf Papier lesen möchte, findet hier das PDF.
© Carl Frech, 2020
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Ich setze in jedem Fall auf Eure / Ihre Aufrichtigkeit.