UND NUN?

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Was brauchen wir jetzt? Diese Frage wurde mir von Bernhard von Mutius Ende des vergangenen Jahres gestellt (2020).

Wir dürfen uns nicht überlasten. Wir dürfen von uns nicht erwarten, als hätten wir sofort alle Antworten auf die aktuellen Fragen. Wir sind gewohnt zu planen. Wir sind gewohnt, die Kontrolle behalten zu wollen. Plötzlich ist diese verschwunden. 

Vieles, was wir in unserem Leben gelernt haben, was wir für selbstverständlich erachtet haben, verändert sich, ist plötzlich nicht mehr sicher. Diese Unsicherheit nimmt uns natürlich die erwachsene Stabilität, welche unser Leben zu einem mehr oder weniger gewohnten Pfad werden liess. Plötzlich ist dieser Weg in Frage gestellt und stellt uns vor Fragen. 

Natürlich macht uns das Angst, vielleicht auch nur Sorge. Andere werden vielleicht gerade in Ihrer Lust am Leben und dem Neuen herausgefordert, fühlen sich geradezu beflügelt. Diese Zeit lässt vieles von uns sichtbar werden, was wir sonst jeden Tag gut verbergen können. 

Es ist ein wenig wie neu lernen. Das, was Kinder in ihren frühen Tagen, Wochen, Monaten und Jahren tun, ohne darüber nachdenken zu müssen. Sie nehmen einfach unvoreingenommen auf und lassen das geschehen, was sie sowieso nicht verändern können. 

Ist das nicht ein kleines, vielleicht inspiratives Vorbild für uns mit den aktuellen Herausforderungen: das geschehen lassen? Auszuhalten, dass wir nicht alles kontrollieren können? Den gefühlten Mangel als den Anfang von Veränderung zu begrüssen? 

Aber von welchem Mangel sprechen wir überhaupt? Von welcher Position aus betrachten wir das, was uns fehlt? Ist uns überhaupt klar, dass wir in einer Über-Ausstattung leben? Dass das ZUVIEL und IMMER MEHR der Standard unseres Lebens wurde? Dass wir wie Süchtige nach der Maximierung uns immer weiter von unseren eigentlichen Fragen entfernen. Ich bin sicher, die grossen und finalen Fragen jedes Lebens werden dort nicht ihren Sinn und Grund finden. 

Was wir brauchen sind vor allem Freunde. Wir brauchen einander, da wir so über die Jahrtausende zu dem geworden sind, was wir eben sind: Rudelwesen mit ein wenig Kultur an den äusseren Rändern. Aber verstehen wir eigentlich noch im Kern die Idee von Freundschaft als eine Aufforderung nach kreativem Teilen. Verstehen wir die Aufforderung an uns selbst, dass wir unsere Talente, Gaben und das, was wir geschaffen habe, vor allem als sozialen Wert verstehen sollten.

Gleichzeitig sind wir sehr zentralistische Wesen, immer noch Primaten und Teil der Natur. Wir können unsere eigenen Vorstellungen, das, was wir für uns haben wollen und brauchen, nicht so einfach vor uns und den anderen verleugnen. Aber was ist das Genügende, das, was tatsächlich für unser Glück ausreicht? Eine schwierige Frage, die vielleicht gerade in diesen Zeiten einen guten Humus für eine Antwort sein könnte.

Was würden wir gerne teilen?

Beginnt diese Frage nicht vor allem mit der Aufrichtigkeit, ob wir überhaupt teilen wollen? Für viele ist die Idee des Teilen ein schöner Gedanke, eine uns anrührende Vorstellung. Oft genügt schon der Gedanke daran, um uns, in unserer Vorstellung, in ein besseres Licht zu rücken. 

Eine gute Formel zum Teilen scheint mir die Frage: Was kann ich selbst richtig gut und was kann ich weniger gut? Darüber wird oft deutlich, was man selbst brauchen könnte. Es wird aber auch deutlich, was ein wertvolles Angebot für andere wäre.

Heute, im Zusammenspiel mit sozialen Netzwerken, wird Teilen oft als blindes Hergeben verstanden. Jene, die nicht alles offen herausgeben, werden gerne als konservativ betrachtet. Aber bedeutet Teilen nicht im Kern das Verbindende. Eben der Teil, der zu etwas anderem gut passt und dann für beide Seiten einen Vorteil bietet. 

Eine Idee kann man ja nicht wirklich teilen. Meistens führt das Mitteilen zu einer weiteren Idee, einer besseren, schärferen, klareren, oder sie ist der Impuls, auf der weitere Ideen aufbauen, auf jeden Fall ist es eine Inspiration.

Und ist es nicht so, dass jener, der von seiner Idee erzählt, meistens eine besondere Position in der Gruppe erhält? Ist es nicht so, dass der Vermittler meistens mehr lernt, als jene, die nur davon erfahren haben. Oder anders: Welchen Sinn hat ein Tisch, an dem man alleine sitzt?

Wie können wir uns gegenseitig unterstützen?

Kurz gesagt: Nur mit der Offenheit und dem Risiko auch Schwäche zu offenbaren und Unsicherheiten mitzuteilen. Frei nach Karl Popper (wer ihn nicht kennt: das war ein österreichisch/britischer Philosoph): 

Wir irren uns empor.

Karl Popper

Alles ist und bleibt ein Prozess des permanenten Werdens. Oft bleibt pro Tag ein kleines Fenster, in dem tatsächlich etwas Neues geschieht, besser: wir es geschehen lassen. So gesehen ist diese Krise eine gute Möglichkeit, sich dem Neuen zuzuwenden. Das hat etwas mit Aufräumen zu tun, mit Wegräumen des Unnötigen, aber auch mit Raum geben für Veränderung. Der Wert dessen, was wir gelernt haben, was sinnvoll ist, bleibt uns sowieso. Darum müssen wir uns nicht oder nur kaum kümmern. 


Wer doch lieber auf Papier lesen möchte, findet hier das PDF.


© Carl Frech, 2020

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