WALD

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Der Wald ist ein Sehnsuchtsort, ein Lebens- und Schutzraum. Vielleicht erzählt dieser Ort aber noch viel mehr. Wenn man sich die Zeit nimmt.


Ich widme diesen Text meiner Schwester Gabriele, die im Februar 2022 viel zu früh gestorben ist und ihre Ruhe in einem Wald gefunden hat.


Wir sind gewohnt, alles innerhalb der Zeit wahrnehmen, die unserem Leben als eine Art Distanzregler zu unseren Erwartungen, Plänen und Wünschen zur Verfügung steht. Wir denken in den zeitlichen Dimensionen entlang der Entwicklung unseres Körpers [2] [3], des sozialen Raumes, der uns umgibt sowie den Entfernungen, den Radien und damit auch Richtungen, die sich daraus für unser Leben ergeben.

In den ersten Tagen, Wochen und Monaten unseres Lebens lernen wir behutsam und langsam, was Bewegung [2] [3] bedeutet. Wir deuten, und darüber dürfen wir vermutlich nur spekulieren, die Welt um uns herum als einen Bereich und damit auch als einen Ort, welchen wir von unserem Körper nicht oder nur kaum unterscheiden (können). Warum sollten wir auch?

Wir sind ein Teil von allem und alles ist ein Teil von uns. Unser Leben ist dominiert vom Überleben (wollen). Jede Aktivität in dieser frühen Zeit hat nur das eine Ziel, unserem Leben die nötige Sicherheit für die kommende Zeit zu geben. Auch wenn die Idee von Zeit [2] [3] noch keine Rolle spielt.

So können wir unseren Eltern oder jenen Menschen, die in dieser Phase unseres Daseins eine überlebenswichtige Rolle spielen, nur in Relation zu ihrem Beitrag für unsere davon abhängige Existenz betrachten. Wenn wir überhaupt den Begriff der Betrachtung dafür wählen sollten. Denn was sehen wir schon bewusst oder könnten gar darüber nachdenken?

Wir leben in dieser Zeit aus einem tief in uns schlummernden Instinkt heraus. Wir treten in Kontakt mit der Umwelt, in die wir geboren wurden, über unsere Affekte, über Reflexe unseres Körpers. Langsam erkunden wir ein noch diffuses, aber wichtiges Potenzial unseres Wesens: die Welt der Emotionen.

Wir lernen, dass unsere Gefühlsregungen wie eine Sprache eingesetzt werden können. Manche dieser Regungen sind uns, wie man so schön sagt, vielleicht vergleichbar mit besonderen Talenten, die wir erst später entdecken, in die Wiege gelegt. Aber von wem?

Andere entdecken wir als kleine und gierige Flaneure in diesen frühen Augenblicken unseres Lebens. Wir streifen unbeweglich durch die endlose Zeit eines Tages und erkennen die grossartigen Möglichkeiten unseres kleinen Tuns. Wir denken nicht darüber nach. Noch nicht. Vermutlich sind wir daher in dieser Zeit im Untergrund unseres Lebens [2] [3] [4] so erfolgreich.

Ein Untergrund, vergleichbar mit Erde, auf der später etwas wächst wie ein Humus, ein Nährboden, von dem man dann zehren kann. Der eine mögliche Basis für unsere Entwicklung bietet und welcher als eine Form der Gegenleistung in späteren Zeiten unseres Lebens unsere besondere Aufmerksamkeit braucht, damit dieser Boden, dieser Untergrund auch seine Wirkungsmächte entfalten kann. Bis zu unserem Ende und darüber hinaus [2]. Aber bis dahin haben wir Zeit.

Wir haben Zeit, wenn die Bedingungen [2] [3] stimmen, wenn die Welt um uns herum so zu uns passt und reagiert, wie es für uns gut ist. Da diese Welt um uns auch unsere Welt ist, leben wir noch ohne grosse Sorge in einer gedankenlosen Zeit, in einem ungehinderten, einem nicht hinterfragten Austausch mit alle dem, was wir um uns herum erreichen können. Und in der Folge auch zwingend erreichen müssen.

Ein wenig wie der Samen einer Pflanze, welcher durch die Luft fliegt, irgendwo auf einem Untergrund landet, hinabfällt und an diesem Ort mit jenen Gegebenheiten zu leben beginnt, was dieser Ort bieten kann. Dieser Samen hat keine Wahl. Jedes Lebewesen auf diesem Planeten hat keine Wahl der Bedingungen, die mit dem Anfang eines Lebens zwingend verbunden sind.

Doch nach einigen ersten Monaten an einem Ort auf dieser Erde entdecken wir die Möglichkeiten unseres Körpers in einer vollkommen neuen Dimension. Die ersten Bewegungen in dieser Zeit kreisen auf magische Weise um unsere Mitte. Wie Planeten um einen Stern.

Wir erkennen die Bewegungen unserer Hände und Füsse im Zusammenspiel unseres Körpers als Ganzes. Doch wir bewegen uns nicht von der Stelle. Wir erfahren unsere Bewegung als das, was später in unserem Leben normal [2] sein wird.

Wir erkunden die Orte um uns herum, als wären wir die Mitte von allem und sind überrascht über das, was wir sind, was wir tun können, was noch möglich sein könnte. Und vielleicht beginnt auf diese Weise unser Denken eine Richtung einzuschlagen, das man als Verstehen bezeichnen könnte.
Der Unterschied zum Verständnis soll uns erst sehr viel später klar werden. Wenn wir Glück hatten.

Wir bewegen uns nicht. Wir werden bewegt. So wie wir beatmet werden und uns nicht sorgen müssen, wir würden plötzlich keine Luft mehr bekommen. So wie unser Herz von alleine schlägt.
Wir werden bewegt und können uns nicht dagegen wehren. Doch das wird sich bald ändern. Denn wir sind für eigenständige Bewegung bzw. Beweglichkeit bestimmt.

Jene, die für uns da sind, andere Menschen, die für uns in dieser Zeit noch nicht als andere wahrgenommen werden, bewegen uns von hier nach da. Von oben nach unten. In alle Richtungen. Und mit dieser Erfahrung verbinden wir mit der Zeit Abläufe, erkennen möglicherweise erste Rituale, verorten diese vielleicht mit bestimmten Zeiten, ohne dass wir in jener Zeit eine Ahnung davon hätten, was Zeit überhaupt bedeutet. Und ohne die Sicherheit, alles würde sich so fortsetzen, wie es in diesem Augenblick war, so von uns erlebt wurde.

Im Verlauf dieser zeitgebundenen Ereignisse erkennen wir langsam Muster. Wir gewöhnen uns daran, dass manches in einer bestimmten Reihenfolge [2] abläuft, sich dadurch verändert. Wir erkennen, dass dies zu unserem Nutzen ist, wir damit Vorteile haben. Denn wir nehmen wahr, wenn auch noch kaum bewusst, dass sich diese Reihenfolge durch die Wiederholung, das permanente Tun stetig verbessert, irgendwie immer leichter wird.

Wir werden ernährt, können im Arm oder der Nähe anderer Menschen leichter einschlafen, wir entspannen uns durch das, was da mit uns passiert, wie wir ein Teil einer uns bewegenden Welt sind. Vielleicht verbunden mit einer ersten, noch sehr blassen, noch sehr weit entfernten Ahnung davon, was Sinn [2] [3] in Verbindung mit unserem Leben bedeutet.

Verlassen wir diese Welt für einen Moment. Eine Pflanze kennt, könnte sie uns davon erzählen, auch die unterschiedlichen Phasen ihres Lebens und damit Zeiten. Sie könnte uns auch von der Bedeutung ihrer Umgebung erzählen.

Wir sprachen weiter oben von dem einen Samen, der durch die Luft fliegt, fällt und irgendwo landet. Dieser Ort ist der Ort seines Werdens und Vergehens. Jeder andere Ort ist ausser Reichweite (ausser der Wind oder ein sich bewegendes Lebewesen hilft ein wenig).

Das bedeutet, dieser eine Ort muss alles bieten, um das in diesem Samen schlummernde Potenzial zur vollen Entfaltung (Genese) zu bringen. Die Natur hat jedem Samen eine Art Gebrauchsanleitung für die bestmögliche Nutzung der vorgefundenen Welt mitgegeben. Jeder Samen versucht mit diesem Rezept für das Leben die idealen Bedingungen für das noch verborgene Wachstum zu entwickeln.
Nehmen wir uns dafür einen Augenblick Zeit.

Eine Pflanze bewegt sich nicht, aber sie ist ein Lebewesen. Ein Lebewesen, das – wie alle Lebewesen – wächst und irgendwann einen Zeitpunkt erreicht hat, an dem die Kraft zum Wachstum schwindet.
Ab diesem Zeitpunkt beginnt meist ein relativ friedlicher Zeitraum, um das erreichte Wachstum zu genießen, sagen wir besser, das beste daraus zu machen.

Doch auch dieser Zeitraum ist wie alles endlich und es beginnt der Rückbau dessen, was bis dahin überlebenswichtig war. Die Kräfte werden weniger, das Umfeld rückt langsam näher, das Leben wird anstrengender. Der Aufwand für das Nötige zum Überleben wird zu einer wachsenden Mühe. Eine Anstrengung, die wie ein Zeiger zu einem Ende deutet, welches für jene, die weiterleben, zum Vorteil werden wird. Auch durch die eigene Auflösung.
Aber jetzt beginnt erst das Leben dieses einen Samen als junge Pflanze.

Diese Pflanze lebt und für dieses Leben braucht sie Nahrung. Ihre Nahrung produziert sie im Grunde selbst. Sie nutzt das Kohlendioxid (CO2 [2] [3]) der Luft und verwandelt es in Zucker [2] [3]. Wir kennen Kohlendioxid heute vorwiegend in Verbindung negativer Kontexte. Allerdings sind wir daran selbst schuld. Die chemische Verbindung aus Sauerstoff und Kohlenstoff ist ein natürlicher Bestandteil unserer Luft. Erst dadurch ist die Atmosphäre auf unserem Planeten möglich.

Auch wir benötigen Kohlendioxid dringend für unseren Körper. Vor allem in Verbindung mit unserer Leistungsfähigkeit [2]. CO2 hilft beim notwendigen Weiten unserer Blutgefäße. Wäre dies nicht möglich, hätten wir generell wenig Ausdauer. Die gesamte Organisation der Energie in unserem Körper (zb. wenn wir uns verteidigen müssen, aber auch wenn wir angreifen wollen), wäre nur auf einem sehr niedrigen Niveau möglich. Kurz gesagt hätten wir kaum etwas von dem erreichen können, was die aktuelle Dominanz [2] unserer Spezies auf diesem Planeten ausmacht.

Auch Zucker verbinden wir überwiegend mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit. Vor allem, da wir unnötigerweise Zucker in verarbeiteter Nahrung [2] [3] aber auch in reiner Form zu uns nehmen. Im Grunde produziert unser Körper selbst Glucose (Zucker). Dabei spaltet der Darm [2] im Zusammenspiel mit der Verdauung von zum Beispiel Gemüse und Getreide diesen Lebensstoff und setzt ihn dann im Körper frei. Unsere Bauchspeicheldrüse wiederum prüft den Zuckeranteil und kontrolliert die Zufuhr im Blut über das Insulin.
Wie aber produziert eine Pflanze Zucker?

Pflanzen produzieren Zucker über die Energie der Sonne, der Fotosynthese. Ein komplexer Vorgang mit einem schönen Namen. Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen und kann mit Licht zusammensetzen benannt werden. Dafür brauchen sie Chlorophyll in ihren Blättern. Dies wiederum ist eigentlich nur ein Farbstoff [2], dessen [altgriechischer] Name für grün oder frisch steht.

Über diesen pflanzlichen Prozess der Produktion von Nahrung entsteht etwas für alle Lebewesen sehr Bedeutendes: Sauerstoff [2] [3]. Ohne dieses chemische Element wäre Leben, zumindest in der Form, wie wir es uns vorstellen können, schlicht nicht möglich.

Einem kleinen Wunder kommt es gleich, dass alle Lebewesen, die sich bewegen können und diesen Sauerstoff in der Luft zum Leben brauchen, wieder genau das ausatmen (Kohlendyoxid), was die Pflanzen für ihr Überleben benötigen.

Allerdings genügt es Pflanzen nicht nur von der Luft und dem Licht zu leben. Sie nutzen ihre Wurzeln auch zur Verteidigung ihrer Position an diesem Ort durch eine Verfestigung mit dem Untergrund in einem permanent herausfordernden Umfeld.

Und sie saugen nährstoffreiches Wasser aus dem Boden. Dazu verteilen sie den selbst produzierten Zucker so in ihren Wurzeln (aussen etwas dichter, innen etwas lockerer), damit eine Art Röhre entstehen kann. Über diese Leitungsbahnen schaffen sie es, die Nahrung im eigenen Organismus [2] zu verteilen und damit die Lebensfähigkeit [2] zu sichern.

Nun muss sich Leben in allen Zeiten behaupten. Es gibt Zeiten, in denen Pflanzen und auch andere Lebewesen weniger von dem einen und mehr von dem anderen benötigen. Im Frühjahr, wenn eine Pflanze langsam wieder das eigene Wachstum anregt, wenn kleine neue Triebe oder Blüten zu versorgen sind, dann kann sie sich mit dem Wasser saugen Zeit lassen.

Sobald es jedoch wärmer wird, die Triebe und Blüten mehr Nährstoffe benötigen, beginnen Pflanzen damit, das aus dem Boden aufgesaugte Wasser über die Blätter an die Luft abzugeben. Man könnte auch sagen, sie beginnen zu schwitzen, wodurch die Luftfeuchtigkeit im direkten Umfeld der Pflanze steigt. Damit entsteht ein Unterdruck in der Pflanze. Dieser hilft, deutlich mehr Wasser aus dem Boden zu den bedürftigen Trieben und Blüten zu saugen.

Damit dieser Prozess über die ganze Lebenszeit zu neuem Wachstum führen kann, muss die Pflanze im Rhythmus des Jahres ihre Blätter wieder abwerfen. Dieser Prozess beginnt mit der Sommersonnenwende zuerst langsam und steigert sich durch die zunehmende Dunkelheit im Verlauf des ausgehenden Jahres.

Da das Chlorophyll (der grüne Farbstoff) nur über intensives Licht der Sonne entsteht, gewinnen andere Farbstoffe in den Zellen die dominante Funktion, wenn es dunkler wird. Die Blätter werden braun, sie verlieren damit ihre Aufgabe für das Wachstum, fallen ab, werden idealerweise über die Zeit und mit den Resten dessen, was an Potenzial in diesen Blättern noch schlummert (Nährstoffe) zu neuem Boden und die Pflanze kann sich von dem Aufwand in den hellen und warmen Zeiten des Jahres ein wenig erholen.

Warum beschreibe ich diesen Ablauf? Vor allem werden manche Leserinnen und Leser, die bis hierhin gefolgt sind, die Frage haben, wie das zu der Überschrift dieses Textes passt? Eine Pflanze ist kein Wald, aber ein Baum ist eine Pflanze.

Ein Wald hat einen mehr oder weniger klaren Übergang und damit einen Anfang und ein Ende. Wer kennt das nicht aus der Erinnerung an Geschichten in Kinderbüchern und den Abenteuern, die in einem Wald beginnen und nur an diesem mystischen [2] und komplexen Ort möglich scheinen.

Kinder würden vermutlich schon eine grössere Ansammlung von Büschen mit ein paar kleineren Bäumen als Wald bezeichnen, da ihre Welt noch nach anderen Maßstäben bemessen wird, andere Muster als Vorbild hat.

Und Muster [2] sind exakt jener Begriff, der mich im Zusammenspiel meiner Gedanken rund um das Thema Wald beschäftigte, mich überhaupt erst anregte, darüber zu schreiben.
Wir können uns Muster vor allem in einer sichtbaren, also der physikalischen Welt, vielleicht auch unserem sozialen Umfeld vorstellen.

Wir verbinden ein Muster gerne mit der Idee von Wiederholungen (Repetition) und gehen dabei davon aus, ein Muster könne auf einer höheren Ebene [2] [3] [4] auf etwas anderes übertragbar sein. Und sei es auch nur über eine Metapher.

Wir sagen gerne, das erinnert mich an und meinen damit ein Sinnbild, welches uns oder auch anderen etwas verdeutlichen soll. Wobei ein Sinnbild vor allem in der Version eines Symbols bzw. eines Zeichens verstanden wird. Es geht dabei häufig um den Unterschied zwischen Abstraktion und Reduktion.
Die Abstraktion vereinfacht Komplexität und wird dadurch leicht verständlich. Die Reduktion nimmt alles Unwesentliche weg und betont damit das, was gemeint ist. In einer weitergehenden Betrachtung lohnt auch ein Blick in die Semiotik.

Ich meine mit dem Begriff Sinnbild eher die subjektive bzw. irrationale [2] wie auch die ontologische Betrachtung der Welt. Das, was wir im Untergrund unseres Bewusstseins mit dem verbinden, was wir als Wirklichkeit bezeichnen würden.

Die sinnbildliche Metapher, wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht ist dabei nur ein relativ kraftloses Beispiel für das, was wir als Naturprimaten im Zeitraum unserer Menschwerdung [2], die wir nahezu schutzlos in der freien Natur verbracht haben, noch irgendwo in uns tragen.

Wir betrachten die Natur zwar heute mit den Insignien unserer [technologisch determinierten] Überlegenheit, wissen aber, dass wir ohne diese Hilfsmittel [2] den Kräften der Welt (der Natur) ausgeliefert wären.
Wie macht man ein Feuer ohne ein Feuerzeug?

Bleiben wir bei der stofflichen Welt, aus der auch wir stammen, zu der wir ohne Wahlmöglichkeit gehören. Wir können ihr nicht entrinnen. Alles, was sich auf dieser Welt entwickelt, formt und damit [auch uns] anbietet, bildet eine Struktur. Manche dieser Strukturen sind einfach da, wir müssen mit diesen leben. Vielleicht sollten wir eher sagen, wir dürfen mit diesen Strukturen leben.

Denken wir nur an den weitaus grössten Teil der Oberfläche dieses Planeten, dem Wasser [2] der Ozeane. Denken wir an die Physik der Meteorologie, also dem uns permanent umgebenden Wetter. Welche Chance haben wir, dies wirklich grundlegend zu verändern?

Viele würden hier betonen, die Menschheit wäre doch gerade dabei, exakt diese Grundlagen zu zerstören. Aber ist das so in Relation zu jenen Zeiträumen [2] [3] ausserhalb unserer Vorstellung? Was kümmert sich die Welt langfristig um ein paar hundert Jahre menschlicher Sünden [2] [3]?

Bleiben wir bei dem Begriff Struktur. Jede Struktur, sei sie nun ohne unsere Mit- und Einwirkung entstanden und geformt oder auch mit uns, wird erst über ihre Anwendung und damit der Organisation zum Leben erweckt. Dieses Prinzip könnte man als eine universelle Logik [2] bezeichnen.

Die Struktur einer Pflanze, wie weiter oben beschrieben, liefert die Basis jener Organisation, durch die sie – im wahrsten Sinne – zum Leben erweckt werden kann und dadurch erst lebensfähig [2] wird.
Dieser Gedanke lässt sich auch mit der Idee eines Systems [2] [3] in Verbindung bringen.
Wenn wir uns die Pflanze als ein geschlossenes System vorstellen, dann wird schnell klar: Sie hat ohne ihr direktes Umfeld und damit ohne andere Systeme keinen Augenblick eine Chance auf ein eigenes Leben.

So gesehen könnte man feststellen, es kann absolut geschlossene Systeme gar nicht geben. Und damit auch vertreten, es könne proprietäre Systeme nicht im Grundsatz geben, sondern nur sehr eingeschränkte und zeitgebundene Varianten.
Auch wenn wir dies mit Verträgen, mit Zäunen und Türen zum Ausdruck bringen und damit glauben wollen. Aber für unsere begrenzte Lebenszeit scheint es ja zu funktionieren bzw. zu genügen.

Denken wir nur an das Prinzip von Besitz und der damit verbundenen Auffassung von Recht [2], wie sich unsere soziale Realität in den vergangenen Jahrtausenden entwickelt und verstetigt hat.

Jedes System ist vor diesem Hintergrund ein Teilsystem [2] [3] [4] und entwickelt seinen inhärenten Sinn ausschliesslich im Umfeld anderer Teile, die ihre kombinierte Wirkmacht über ihr radiales Umfeld entfalten.

Und jedes dieser – hier sogenannten – Teilsysteme entfaltet sein Potenzial im direkten Umfeld logischerweise intensiver als über eine grössere Distanz. Schlicht durch die Nähe und damit die Erreichbarkeit.
Gleichzeitig, wenn auch nur mit einer zunehmend [logarithmisch] schwachen Verbindung, ist jedes Teilsystem mit allen anderen Systemen [2] verbunden. Das alles klingt relativ abstrakt. Nehmen wir uns ein einfaches Beispiel.

Verlassen wir dazu kurz den Lebensraum Natur. Wenn wir uns ein Fahrrad als ein Teilsystem vorstellen, dann macht dieses Fahrrad nur Sinn, wenn ein anderes System, sagen wir ein menschlicher Körper, damit umgehen, also sich selbst mit diesem Fahrrad bewegen kann.

Für die Kombination dieser beiden Systeme [Körper und Fahrrad] ist ein passender Untergrund relevant, da sonst die beiden physikalischen Gesetze von Gravitation und Fliehkraft (also das Fahren auf zwei Rädern) nicht [in der Kombination] realisierbar sind.

Dieser Untergrund ist in unserer Welt üblicherweise ein Weg, eine Strasse, also eine möglichst ebene Fläche.
Die systemische Anwendung dieser kombinierten Teilsysteme kann, je nach der Qualität aller damit verbundenen Optionen (bei dem Fahrrad wäre dies die Technologie, bei dem menschlichen Körper die Energie bzw. die Geschicklichkeit) das Fahren auch auf anderen Untergründen ermöglichen.

Es gibt jedoch eine Grenze, an der ein [Teil-] System [Fahrrad oder Untergrund] keine Option mehr bietet und nur durch eine Trennung ein weiterer Progress (Bewegung) möglich ist. Stellen wir uns vor, der Untergrund wird zu steil und der Mensch (mit den weiter verfügbaren Optionen des Körpers) beginnt, auf einen Hügel zu steigen, da dies das Ziel war.
In diesem Fall verliert das Fahrrad seine Bestimmung für das Fahren (möglicherweise wären andere Optionen denk- und realisierbar).

Ich sprach davon, dass jedes Teilsystem im Grundsatz mit allen anderen Systemen verbunden ist. Verbunden sein muss. Das bedeutet bei unserem Beispiel, dass das [von Menschen entwickelte und geformte] Fahrrad überall fahren könnte, wo der Untergrund dies ermöglicht.
Dieses Fahrrad wäre auch an jedem anderen Ort vorstellbar, auch wenn es nicht sinnvoll wäre. Einfach darum, da man dort [= damit] nicht fahren kann.

Diesem Gedanken folgend ist es eine verrückte Tatsache, wie prominente Teile der Menschheit an nahezu allen Orten der Hybris verfallen sind, absurde Ideen zu realisieren. Nur aus dem Grund, da es irgendwie möglich ist.
Diese Form der Irrationalität und Ignoranz gegenüber den tatsächlichen Gegebenheiten, also dem, was gegeben, besser gesagt in einer bestimmten Situation und Umgebung angemessen wäre, zerschellt zunehmend an der Rückseite einer Bühne, die den Namen Machbarkeit trägt.

Es ist machbar, also möglich und damit eine für viele Menschen attraktive Option für neue und idealerweise resistente Realitäten.
Herbert Spencer, 18201903, prägte den Begriff Survival of the Fittest. Unsere produkt- und projektergebene [inzwischen global dominante] Ideologie generierte daraus den Ansatz einer auf permanentem Wettbewerb und auf Unterwerfung der Anderen ausgerichteten Prominenz [2].

Warum ist das wichtig? Carles Darwin, 18091882, übernahm den Begriff von Herbert Spencer im Jahr 1869 in sein Werk Die Entstehung der Arten. Er ergänzte damit den damals schon bekannten Begriff der natürlichen Selektion.

Die heute oft postulierte Interpretation betont noch gerne die Idee des Stärkeren. Herbert Spencer meinte jedoch eher die Überlebenstüchtigkeit einer Spezies und damit jene Fähigkeit, auf die jeweils unterschiedlichen Umwelt- und Einflussfaktoren so zu reagieren, damit das eigene Überleben im Zusammenspiel der Umwelt realisierbar ist.

In dem Zusammenhang könnte man den Begriff Survival of the Fittest auch mit der Deutung: Die für das eigene Überleben sicherstellende Mittelmäßigkeit definieren.

Wir würdigen mit unserer auf Produktivität ausgerichteten Kulturauffassung [2] den Wert der Kooperation, also der für beide Seiten vorteilhaften Verbindung einzelner Operationen.
Damit ist nicht zwingend Zusammenarbeit bzw. Zusammenwirken gemeint, sondern lediglich die Tatsache, wie sich zwei Aktivitäten bzw. Kompetenzen zu einem gemeinsamen Ganzen ergänzen.

Denken wir nur an den Bau eines Hauses und die dafür notwendigen bzw. unterschiedlichen Anforderungen (Kompetenzen [2] [3] [4] [5] [6] die sich erst dann perfekt ergänzen, wenn sie sich nicht in die Quere kommen.

Kollaboration ist im Unterschied dazu das tatsächliche und üblicherweise zeitgleiche Zusammenwirken verschiedener Einzelkompetenzen mit dem Ziel, dass dieses gemeinsame Wirken in dieser Form zu einem idealen und damit gemeinsamen Ergebnis führt.

Mit dem Bewusstsein unserer menschlichen Spezies könnten wir vergleichbar über die Potenziale [2] einer Ko-Exploration, einer Ko-Motivation, einer Ko-Reflexion oder Ko-Generation, vielleicht auch Ko-Regeneration spekulieren und fantasieren.
Diese Gedanken verfolge ich lieber an einer anderen Stelle bzw. in einem anderen Text weiter.

Und weil es gerade passt: Wer mag, kann sich natürlich auch mit den Unterschieden der Begriffe Multidisziplinarität, Interdisziplinarität und Transdisziplinarität beschäftigen.
Auch dazu an anderer Stelle von mir ein wenig mehr.

Schauen wir noch einmal auf die führende Idee des Titels. Ein Wald ist nicht die Summe singulärer [2] [3] Erscheinungen. Die singuläre Erscheinung (ein Baum) ist ein inklusiver und integraler Teil einer systemischen Logik, welche ihre individuelle Existenz exakt auf dieser Realität gründet.

Ein Baum ist eine Pflanze mit einer relativ langen Lebenserwartung [2] [3]. Oft länger und resistenter als die der menschlichen Spezies. Gleichzeitig ist die Einbindung dieser biologischen Zeiträume vom Werden und Vergehen in einen grösseren, also einen weltgeschichtlichen Zusammenhang bedeutend. Doch leider ist dies mit dem Bewusstsein bzw. der Perspektive unserer durchschnittlichen Lebenszeit schwer zu leisten.

Jeder Baum beginnt den Entstehungsprozess aus der Fragilität eines einzelnen Samen [2], welcher, sollten die Umfeldbedingungen stimmen, zuerst zu einer Pflanze wächst und sich erst dann zu einem Baum entwickeln kann.
In den meisten Fällen jedoch, bedenkt man die Summe der Samen, mit denen jeder Baum seine Nachkommenschaft [2] [3] [4] vorbereitet, erreicht die noch junge und kleine Pflanze nicht dieses Ziel.

Das menschliche Sperma besteht bei einer einzigen Ejakulation aus ca. 500 Millionen Spermien. Ungefähr 500 davon erreichen die Eizelle. Nur ein Spermium führt üblicherweise zur Befruchtung.

Die damit verbundene gedankliche Flughöhe, wie dieser metaphorische Vergleich verstanden werden kann, überlasse ich der Fantasie der Leserinnen und Leser.

Ein Baum hat dann seine dominante [2] [3] Version dann erreicht, wenn sein Stamm so stark verholzt und sich dadurch gegen die meisten äusseren Einflüsse schützt, dass er relativ sicher die jeweils nächste Phase seines Wachstums erreicht.

Diese Phasen sind weitgehend durch den Wechsel der Jahreszeiten bestimmt und damit dem Rhythmus aller Einflüsse, die in jedem neuen Jahr wie ein Korrelat [2] [3] oft erst im Rückblick ihren Sinn ergeben bzw. in Bezug auf die damit verbundenen Folgen erklärbar sind.

Wir betrachten die Welt introspektiv, besser gesagt: intro-reflektiv. Wir deuten und entscheiden über alles, was wir sehen, wir mehr oder weniger bewusst wahrnehmen und in der Summe einen für unser Leben herausragenden Wert erkennen.

Wir unterschätzen meistens den Untergrund, das, was unter der [sichtbaren] Oberfläche existiert und für alles darüber die existenzielle Bedeutung darstellt. Banal gesagt: Das darüber gäbe es nicht ohne das darunter.

Unsere Erde hat einen Durchmesser von ca. 12.700 km [2] [3]. Nur ungefähr 30 cm der nutzbaren Oberfläche auf diesem Planeten bietet den Nährboden einer Humusschicht und damit die Grundlage für pflanzliches Wachstum.

Vergleichbar mit dem grössten menschlichen Organ, der Haut [2], ist diese Oberfläche nicht nur ein hochsensorischer Gradmesser für die damit verbundene Lebensfähigkeit, sondern auch die Trennschicht zwischen der äusseren und der inneren Welt.

Wenn wir den menschlichen Körper [2] zeitgeschichtlich mit unserem Planeten vergleichen, dann spricht man ab einem Zeitraum vor ca. 550 Millionen Jahren, dem sogenannten Phanerozoikum [2] von einer Phase, in der zum ersten Mal Pflanzen von den Meeren den festen Lebensraum der zu jener Zeit schon relativ festen Landmasse erreichten und in der Folge besiedelten. In der Zeit davor war die wasserlose Oberfläche der Erde noch ohne sichtbares Leben.

Wenn wir diesen Zeitraum mit der aktuell durchschnittlichen Lebenszeit eines Menschen vergleichen und davon ausgehen, der erste Heilungsprozess einer Verletzung menschlicher Haut dauert etwas länger als einen Tag, damit meine ich das Schliessen der verletzten Oberfläche zu einer wenn auch noch empfindlichen Hautschicht, dann entspricht das proportional jener Zeit, die nötig ist, in der auf unserem Planeten eine ein Meter dicke Erdschicht entsteht. Das sind 15.000 Jahre.

Wie schon erwähnt, davon eignen sich nur ca. 30 cm als besonders wertvoll für darauf entstehendes Pflanzenwachstum. Man spricht hier auch von Mutterboden.
Es wird häufig erstaunlich, wenn wir in Proportionen [2] [3] [4] [5] denken.

Manche werden bei diesem Vergleich mit Erstaunen die endlos scheinende Zeit unseres Planeten zu verstehen versuchen. Aber darum geht es nicht. Erstaunlich ist der notwendige Zeitraum, bis sich ein nährstoffreicher Boden bildet, der letztlich für alles Leben auf dieser Erde die notwendige Basis bildet.

Erinnern wir uns einen Moment daran, wie vor ca. 13.000 Jahren die damalige Menschheit in kleinen Gruppen langsam sesshaft wurde und damit begann, den Boden an einem selbst gewählten Ort so zu nutzen, um dort bleiben zu können.

Wir verstehen heute weitgehend, wie unser menschlicher Organismus funktioniert. Wir haben ein relativ klares Bild davon, wie komplex unser Gehirn über seine ca. 86 Milliarden Neuronen vernetzt ist.
Ein Neuron ist eine Nervenzelle. Auf jeder dieser Nervenzellen können bis zu 10.000 Synapsen verteilt sein. Jede Synapse entspricht einer Kontaktstelle, die mit einer anderen Nervenzelle verbunden ist.
Wir sprechen also von mindestens 86 Billionen möglicher Kontakte, mit denen das menschliches Gehirn seine Funktionen für einen Menschen in jedem Moment eines Lebens erfüllt.

Bedenkt man, was für Banalitäten damit oft verbunden sind, dann darf man sich mindestens ein wenig wundern.

Wenn wir von Zellen sprechen, dann ist der ganze menschliche Körper eine endlos scheinende Kombinatorik von 100 Billionen Zellen. Und damit auch jenen Zellen, die unseren Organismus beweglich machen: Die Muskeln.

Etwa zwei Drittel aller Muskeln in unserem Körper können wir bewusst steuern. Die wichtigsten Muskeln unseres Körpers übernimmt jedoch unser Unterbewusstsein [2] bzw. das zentrale Nervensystem. Man könnte auch sagen, der Untergrund unserer Existenz, mit dem wir unsere Lebenszeit relativ sicher verbringen.

Unser Herz [2] schlägt von selbst, unsere Lungen [2] kontrahieren von alleine und beatmen uns auch wenn wir schlafen, unsere Verdauung passiert einfach so, ohne dass wir uns darum kümmern müssen (ausser durch das, was wir essen und trinken).

Wir mögen einen schnelleren Herzschlag spüren, wenn wir aufgeregt sind, uns vielleicht vor etwas ängstigen. Das Herz sendet dieses Warnsignal jedoch nur, damit es weiter und idealerweise in Ruhe schlagen kann und dadurch unseren Körper in jedem Augenblick mit Blut versorgt.

Die kleinsten Fasern unserer Muskeln sind die Sarkomeren [2] [3]. In unserer Vorstellung ist ein Muskel vor allem der kraftvolle, der sichtbare Ausdruck unseres Körpers und seines Wirkungsgrades bei jeder Form der Bewegung. Wobei die Wirkung in Relation zum Nutzen meist weniger Beachtung findet.

Ohne diese kleinsten Teile (Fasern) unserer Muskeln wären wir im Grunde bewegungslos, also ohne jede Fähigkeit, unsere Körper zielsicher und detailliert zu bewegen. Sarkomere erhalten durch unser [Präsenz] Bewusstsein – nehmen wir zum Beispiel an, wir hätten uns entschieden einen Arm zu heben, um einer Freundin in der Ferne zu winken – den ersten sehr feinen Impuls.

Die darauf folgende Bewegung funktioniert dann mehr oder weniger von alleine, quasi schematisch im Zusammenspiel unserer körperlichen Möglichkeiten und den endlosen Übungen, die wir in unserem Leben schon geleistet und zeitlich hinter uns gebracht haben.

Dass sich manche dieser körperlichen Feinheiten erst im Laufe des Lebens ausbilden, können wir gut bei Säuglingen in deren ersten Lebensmonaten beobachten und dies mit jenen Fertigkeiten vergleichen, die wenige Jahre danach normal werden.
Doch schon der Vergleich tanzender Menschen genügt, um zu sehen, welche Unterschiede der menschliche Körper im wahrsten Sinne zum Ausdruck [2] [3] [4] bringen kann.

Ein Baum in einem Wald kann sich nicht bewegen. Die nach oben strebenden Teile dieser grossen Pflanze bewegt vielleicht der Wind oder ein Tier, das sich am Stamm das Fell schrubbt. Doch auch ohne die Möglichkeit eigenständiger Bewegung, dieser Baum ist ein lebender Organismus [2].

Es ist vermutlich wenig hilfreich bzw. zielführend, einen Baum mit der [Konvention] Definition unseres menschlichen Bewusstseins zu vergleichen oder auch mit einer gewissen Hybris über die Fähigkeiten dieser Pflanze zu spekulieren.
Vor allem wenn wir bedenken, dass Bäume zwar erdgeschichtlich relativ jung sind, doch immerhin schon ca. 380 Millionen Jahre [2] [3] [4] mit ihrer Erfolgsgeschichte diesen Planeten prägen.

Die Wurzeln der Bäume, vergleichbar mit den Muskeln (und Faszien) unseres Körpers bieten der Pflanze die Statik [2] und Stabilität, um die Position an diesem Ort gegen die unterschiedlichen äusseren Einflüsse verteidigen zu können.

Der Baum bewegt sich nicht, daher sind die Wurzeln die einzige Chance zum Überleben. Vergleichbar mit den Sinnen unseres Körpers und dem als Metapher gemeinten Beispiel der weiter oben genannten feinsten Nervenzellen unserer Muskeln, tasten sich Bäume im Untergrund des Bodens in allen Richtungen nach relevanten Vorteilen.

Und ähnlich zu Sensoren erspüren die Pflanzen Potenziale wie Feuchtigkeit und Nährstoffe und senden diese Signale (Information) dorthin, wo diese am meisten gebraucht werden, wo das Wachstum zu einer bestimmten Jahreszeit stattfinden muss. Den Blüten bzw. den Blättern.

Wenn Blätter die Information erhalten, der Boden sei trocken und damit weniger Wasser für das Wachstum zur Verfügung steht, verdunsten sie weniger Wasser. Der schon beschriebene Effekt eines durch die Verdunstung entstehenden Unterdrucks und damit mehr Wasserzuleitung in die höheren Bereiche des Baumes, hätte nicht nur keinen Effekt. Es wäre vergeudete Energie.
Und bei der optimalen Ausbeute von Energie sind Pflanzen nahezu unschlagbar.

In der anderen Richtung senden die Blätter, bzw. die für das Wachstum dominanten Teile Informationen an die Wurzeln, verbunden mit der Frage, ob genügend Nährstoffe vorhanden sind.

Wir sprachen weiter oben über die Bedeutung bzw. die Produktion von Glucose über die Fotosynthese und den für das Wachstum der Pflanze wichtigen Sauerstoff.
Wenn der Pflanze Nährstoffe fehlen bzw. diese nicht unmittelbar aus dem Boden über die Wurzeln zugeführt werden können, entsteht für die Pflanze Stress [2] [3] [4] [5].
Besser gesagt könnte man sagen, sie hat Hunger oder Durst. Und beides wird ab einem gewissen Punkt zu einem existenziellen Problem.

Wir können dies leicht mit dem Hungergefühl bei uns Menschen vergleichen. Ein zentraler Auslöser ist der Glucosewert im Blut. Bei einer drohenden Hypoglykämie, also Unterzucker, senden Rezeptoren in der Leber ein Warnsignal an den Hypothalamus in unserem Gehirn.
Und das ist ein Multitalent.
Es regelt unter anderem unsere Körpertemperatur, hat Einfluss auf unser Sexualverhalten [2], besonders auf den frühen Entdeckungsreisen während der Pubertät und steuert eben auch unser Hungergefühl.

Wobei es sicher eine weitergehende Betrachtung wert wäre, was das Gefühl von Hunger und Sättigung in unserer saturierten Welt für uns tatsächlich im Zusammenhang einer existenziellen Bedrohung bedeutet.

Für eine Pflanze ist diese Bedrohung jedoch permanent von Bedeutung. Da eine Pflanze meist in einer komplexen Nachbarschaft, aber immer in einer unbeweglichen Position verharren muss, ist eine autarke Situation nur in Kooperation mit dem direkten Umfeld realisierbar. Und hier finden die Wurzeln ihre herausragende Bestimmung.

Mit diesen Wurzeln sind Bäume in der Lage, ihre territoriale Ausbreitung ideal zu organisieren. Wenn die Wurzeln im Untergrund auf die Wurzeln anderer Bäume, idealerweise der gleichen Art treffen, dann verzögert der Baum in dieser Richtung sein Wachstum. Beide Pflanzen haben damit genügend Platz zum [kooperativen] wachsen.

Wir können dieses Verhalten mit allen Lebewesen vergleichen, die sich bewegen können. Denn die Frage nach der [sinnvollen] Nähe und Distanz ist möglicherweise einer der zentralen Faktoren jeder funktionierenden Koexistenz.

In der sogenannten Schwarmintelligenz finden sich Muster und Ähnlichkeiten, welche auf ein Grundprinzip schliessen lassen. Einer der Vordenker zu dem Thema ist Craig Reynolds, *1953. Er hat sich einen Namen in dem Forschungsfeld Artificial Life (Künstliches Leben) gemacht.

Im Vordergrund seiner Arbeit ging es um komplexe Anforderungen für Visualisierungen in der Filmwirtschaft. Er entwickelte im Jahr 1986 die sogenannte Boid-Simulation, indem er das Schwarmverhalten von Vögeln und Fischen künstlich darstellte. Die Computersimulation unterschied dabei drei Verhaltensregeln:

Separation: Bewege dich in Richtung des Mittelpunktes derer, die du in deinem Umfeld siehst.
Angleichung: Bewege dich weg, sobald dir jemand zu nahe kommt.
Zusammenhalt: Bewege dich in etwa in dieselbe Richtung wie deine Nachbarn.

Die offizielle Beschreibung der Boid-Simulation formuliert die drei Regeln in einer anderen Variante:

Separation: wähle eine Richtung, die einer Häufung von Boids entgegenwirkt.
Angleichung: wähle eine Richtung, die der mittleren Richtung der benachbarten Boids entspricht.
Zusammenhalt: wähle eine Richtung, die der mittleren Position der benachbarten Boids entspricht.
(Wikipedia)

Mir gefällt die erstgenannte Formulierung besser, da sie das für mich relevante Phänomen tangibler und damit leichter verständlich beschreibt.

Dieser kurze Diskurs in das Thema der Kollektiven Intelligenz soll ein [spekulatives] Axiom definieren, das vielleicht geeignet ist, die schon erwähnte Koexistenz bzw. weitere [sozialen] Aspekte, die mit der Vorsilbe Ko- beginnen, besser einordnen zu können.

Nun aber wieder zurück zu den Bäumen und dem Wald. Wir sprachen über die Funktion der Wurzeln in Bezug auf die territoriale Ausbreitung.
Diese Form der Kommunikation unter der Erde funktioniert nur im Umkreis jenes Bereiches, in welchem die Bäume über ihre Wurzeln alleine den Untergrund untersuchen können. Über weitere Distanzen suchen sich Bäume oft Verbündete.

Das Netz extrem feiner Fadenstrukturen von Pilzen kann sich über viele Kilometer im Untergrund des Bodens ausbreiten. Dabei gehen Pilze eine Allianz mit den Wurzeln der Bäume ein. Sie umschliessen sie mit einem feinen fliessartigen Gewebe. Man kann dies mit der den menschlichen Körper umfassend durchdringenden Faszienstruktur vergleichen, wenn auch dieses Gewebe einen anderen Sinn für uns hat.

Diese Gewebestruktur der Pilze hat für die Pilze aber auch für den Baum einen Vorteil. Der Baum erhält über die Allianz Stickstoff und Phosphor und erhält dafür Glucose, also Zucker über die Fotosynthese, was für den Pilz nicht realisierbar ist.
Das Pilzgeflecht durchzieht komplexe und sehr grosse Flächen. Ganze Wälder werden im Untergrund damit durchdrungen.

In gewisser Weise können wir dies mit dem Mikrobiom vergleichen. Alles Leben auf diesem Planeten, also alle Vielzeller, die diese Erde über die vergangenen knapp drei Milliarden Jahre besiedelten, ist durchzogen von einer Art Mikroflora [2].
Das Mikrobiom des Menschen findet sich vor allem im Darmtrakt und besteht aus ungefähr 30 Billlionen Bakterien.

Aber auch auf der Oberfläche unserer Haut finden sich diese überlebenswichtigen Mikroorganismen ohne die wir nicht lebensfähig wären. Jedes Organ mit Schleimhäuten ist durchsetzt von dieser Ansammlung von Bakterien, welche bei einem ausgewachsenen menschlichen Körper im Mittel zwei Kilogramm ausmachen können.

Vergleichbar mit dem ersten für Menschen relevanten Mikrobiom, in der Gebärmutter der Mutter, also beim Wachstum eines Embryos, versorgen auch Bäume ihren Nachwuchs über das Netzwerk des Pilzgeflechtes mit Zuckerlösungen.
Lange bevor die Pflanze selbst zu einem Baum wurde und diesen komplexen Prozess selbst durchführen kann.

Aber auch über die Luft sind Bäume in der Lage, mit der Pflanzenumwelt zu kommunizieren. Die aktuelle Forschung interpretiert diese Fähigkeit als Duftbotschaften. Damit warnen sich Pflanzen vor konkreten Gefahren wie dem Befall von Schädlingen.
Die Pflanzen senden, wir würden dies als einen Akt der Freundlichkeit interpretieren, Signale in ihre direkte Umgebung, wenn sie selbst von einem Schädling befallen sind.

Allerdings geht es dabei weniger um unseren Kulturbegriff von Freundlichkeit. Bäume wissen irgendwie, dass ihre Spezies (in der Formation eines Waldes) besser überlebt als alleine.

Auch wir Menschen haben das Potenzial eines Kollektives früh erkannt und in viele produktive [2] Richtungen entwickelt (leider auch in viele unproduktive).
Denken wir nur an das Prinzip des relativ komplexen Vorgangs in der Landwirtschaft, Reis anzubauen [2]. Aktuell geht man davon aus, dass vor ca. 7000 – 8000 Jahren die Domestizierung von Reis in China begonnen hat.

Ein Reisfeld ist ausschliesslich durch permanente Bewässerung und bei fehlenden technischen Lösungen, wie sie heute üblich sind, nur durch eine grössere Gruppe beteiligter Menschen möglich. Ein Kollektiv, welches damit gemeinsam das Überleben sicherstellt.

Wir sprachen über Duftbotschaften. Auch Menschen entwickeln ihren Geruchssinn früh. Schon im Mutterleib wird dieser Sinn soweit ausgebildet, dass Neugeborene ohne Probleme die Brust der Mutter finden, sich damit, bevor sie richtig sehen können, in ihrem sozialen Umfeld orientieren und dadurch früh eine, wenn auch noch sehr fragile Kompetenz der Bindungs- und Beziehungsfähigkeit [2] [3] [4] entwickeln.

Diese eher feinstoffliche Sphäre nutzen Menschen vergleichbar wie Pflanzen. Bekannte Gerüche, zum Beispiel Gerüche anderer Menschen, verbinden uns, auch wenn diese für uns unangenehm sind oder wir mit unangenehmen Erfahrungen verbinden.
Wir können Angstschweiss von anderen Gerüchen differenzieren. Wir schnüffeln, gezwungen durch unsere intrinsischen Prägungen, immer wenn wir einen fremden Raum betreten.

Wenn wir eine Person erschnüffelt und als ungefährlich, vielleicht sogar als förderlich für uns identifiziert haben, dann nehmen wir diese Personen unterbewusst in unserem Soziotop auf.
Und warum soll dieses menschliche Soziotop etwas anderes sein als das Prinzip eines Weiher in einem Wald, ein Tümpel, ein kleines Biotop, das uns und allem auf diesem Planeten viel ähnlicher ist, als wir es auf den ersten Blick denken mögen?

Allen, die bis hierhin gelesen haben wird – so hoffe ich – klar geworden sein: Mein Ziel war nicht, ein versiertes Kompendium zum Thema Wald zu schreiben. Mein Ziel war, das Prinzip eines Waldes zu verstehen, um über Ähnlichkeiten und Muster zu sprechen. Ein Blick, der uns einen etwas bescheideneren, lieber würde ich sagen, einen demütigeren Blick ermöglicht.

Mitte der 1970er-Jahre haben die Mikrobiologin Lynn Margulis, 1938 – 2011 und der Mediziner James Lovelock, 19192022, eine Hypothese vorgestellt, die sogenannte Gaia-Hypothese, die Erde wäre ein selbstregulierendes, dynamisches System. Man sollte die komplette Biosphäre unseres Planeten als ein Lebewesen betrachtet, das immer nach einem für alle Teile förderlichen Ausgleich strebt.

Diese Hypothese ist eine kraftvolle, eine positive, fast möchte man sagen eine poetische Position, die wohl nie von der Wissenschaft bestätigt werden wird, wie wir sie heute als die einzig Richtige akzeptieren. Diese Wissenschaft folgt der unerschütterlichen Überzeugung, ein Phänomen könne nie Ursache und Wirkung gleichzeitig sein.

Der Vorwurf ähnelt einer tautologischen Sprachfigur, nach der nur das sein kann, was naturgemäss sein darf. Alles andere wird gemäss der Natur ausgeschlossen.
Auch wenn ein Wald seit Jahrmillionen beweist, wie eigenständig er in der Lage ist, sein eigenes Klima zu schaffen, welches jede Pflanze zum Wachstum benötigt. Wenn die Einflussfaktoren dies erlauben.

Wenn wir heute mit den Mitteln unserer [scheinbaren] Überlegenheit einen Baum schlagen und für uns nutzen, in welcher Weise auch immer, dann ist dieser Baum in der Regel älter als jene Zeitspanne, die wir in unserem Leben erreichen können.

Wenn wir einen Baum pflanzen, dann wird dieser Baum erst nach unserem Tod eine Grösse erreicht haben, dass dieser, sollte er dann gefällt werden, in dieser Zukunft einen sinnstiftenden Nutzen bieten kann.

Alles bewegt sich in Mustern, in Kontextualismen und auf einer eher ontologischen Ebene auch in Synchronizitäten.

Wenn wir etwas wirklich verstehen wollen, müssen wir oft nur stehen bleiben, ruhig werden und genau hinschauen.

Im Prinzip können Hummeln mit ihren kleinen Flügeln und dem proportional grossen Körper nicht fliegen. Sie könnten es auch nicht, wären diese Flügel starr und so, wie sie bei anderen Insekten zum Einsatz kämen. Hummeln erzeugen jedoch mit ihren sehr flexiblen Flügel eine spezielle Form von Auftrieb und fliegen trotzdem.


Wer doch lieber auf Papier lesen möchte, findet hier das PDF.


© Carl Frech, 2023

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