Erst wenn wir bei einem Geschäftsmodell nicht nur ans Geschäft denken, kommen wir weiter.
Aufbauend auf dem bestehenden Design Thinking Modell und vor dem Hintergrund meiner nun fast 30 Jahre der Beschäftigung mit Design Thinking kam ich zu der Überzeugung, dass drei wichtige Komponenten bzw. Positionen nicht automatisch Teil eines erfolgreichen Innovationsprozesses sind. Warum ich diese ergänzt bzw. verändert habe:
01 Die Frage nach dem verantwortlichen Tun (Responsibility) in einem Gestaltungsprozess ist heute ein zentraler Aspekt erfolgreicher Lösungen für Produkte und Services.
02 Die Fähigkeit der Integration komplexer Umfeldfaktoren und -bedingungen, welche im Zusammenhang mit neuen Lösungen bedacht und überblickt werden sollten (Perseptibility), ist heute ein relevanter Erfolgsaspekt für neue Lösungen und Innovation im Allgemeinen.
03 Der Mensch (Desirability) gehört in den Fokus aller Perspektiven einer Entwicklung, welche am Ende eines Innovationsprozesses zu einem nachhaltigen und damit impulsgebenden Ergebnis (Disseminierungs- vs. Diffundierungseffekt) führen soll.
Das hier vorgestellte Modell spielt daher heute eine zentrale Rolle in meiner Auffassung von Design als Transmitter und als eine Art Enzym innovativer Prozesse für neue Produkte und Services.
Im Folgenden sollen die oben genannten fünf Betrachtungsfelder vertiefend beschrieben werden:
Feasability – What is possible?
Was ist heute machbar und was ist in den nächsten Jahren möglich, um weiter erfolgreich zu sein und um neue Potenziale zu entwickeln?
Jede Produkt- und Servicestrategie sollte eine marktorientierte Balance zwischen dem heute Machbaren und den absehbaren zukünftigen Bedürfnissen verfolgen. Es ist wichtig, die damit verbundenen technischen Entwicklungen heute schon zu erkennen und in zukünftiges Handeln zu verwandeln.
Viability – What is profitable?
Was kann ich mir leisten? Eine wichtige Frage für jeden Menschen wie für jedes Unternehmen. Das ist eine pragmatische und eher kurzfristige Perspektive.
Was sollte ich mir leisten? Dafür braucht es ein präzises Verständnis über den Wettbewerb und das Marktumfeld, aus welchem neue Mitbewerber entstehen können.
Und dann ist die Frage nach der Wirtschaftlichkeit auch eine Perspektive mit langfristigen Potenzialen.
Responsibility – What is reasonable?
Erfolgreiche und zukunftsorientierte Unternehmen können ohne die Kompetenz und die Einsicht in grössere, meist globale Zusammenhänge und der daraus wachsenden Verantwortung nicht nachhaltig erfolgreich sein. Dies betrifft ökologische, soziale aber auch kulturelle Themen. Dabei geht es um ethische Fragen, um eine Haltung, aber auch um wirtschaftliche Potenziale, die sich aus der Integration dieser Themen in einer medial zunehmend transparenten Welt ergeben.
Predictability – What is recognizable?
Oft kann man feststellen, dass Unternehmen bei der Entwicklung neuer Produkte und Services eine relativ enge Perspektive einnehmen. Oft fehlt die Wahrnehmung dessen, was sich generell verändert. Dabei geht es um relevante Trends und neue technische Lösungen. Doch auch gesellschaftliche, politische, kulturelle und ökologische Veränderungen sind wichtige Impulsgeber für die Frage: Was hat dies mit uns zu tun? Was muss man heute erkennen, um sich morgen darauf einstellen zu können?
Desirability – What is wished?
Im Kern geht es immer um ein Verständnis darüber, was Menschen wollen, wie sie ihr Leben und ihre Arbeit gestalten. Es geht aber auch darum, wie sie ihre Unternehmen mit Engagement, ihrem Talent und ihrer Leidenschaft voranbringen. Die gesamte Aufmerksamkeit muss daher in der Mitte zu einem generellen Verständnis und zu einer Empathie führen und darüber informieren, was Menschen sich wünschen, was ihnen nützt, was sie bewegt, sie berührt und damit wirkliche Bedeutung hat.
In der konkreten Anwendung geht es immer darum, diese unterschiedlichen Perspektiven – abhängig von der thematischen Zielstellung – immer Teil der Lösung werden zu lassen, um in der Finalisierung mit einer grossen Argumentationsbreite das Ergebnis darstellen zu können.
Grundsätzlich unterscheide ich zwei wesentliche Ansätze eines kreativen Prozesses:
Iterativ
Kreative bzw. methodische Abläufe werden mit dem Zweck der Optimierung jederzeit zur Verbesserung nachfolgender Schritte untersucht und verändert. Ziel ist die meist qualitative Verbesserung eines avisierten Ergebnisses.
Bei einem Projektteam bedeutet dies z.B., dass vorangegangene Erfahrungen sofort in dem aktuellen Prozess genutzt werden können.
Inkrementell
Kreative bzw. methodische Abläufe werden so geplant, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten bzw. Geschwindigkeiten und in unterschiedlich grossen Teilaufgaben geleistet und am Ende zu einer Gesamtlösung (z.B. einem System) zusammengeführt werden. Im Vergleich zu einer iterativen Methode ist hier nicht zwingend die Optimierung des Prozesses die Zielsetzung, sondern vor allem die optimale Planung zu einem dann erzielten Ergebnis.
Ein weiterer Aspekt dieses Ansatzes, der immer den Menschen mit seinen Interessen, Wünschen und Vorstellungen in den Vordergrund rückt, wird ggf. mit folgendem Modell bzw. Beispiel deutlicher:
Jede Aktivität (hier am Beispiel einer Sportaktivität) hat unterschiedliche Phasen der Umsetzung. Gleichzeitig kann das zum Einsatz kommende Produkt (in diesem Fall ein Sport- bzw. Laufschuh) unterschiedliche Möglichkeiten zum individuellen Einsatz haben. Diese Unterscheidung in Relation zu der jeweiligen Lebenswelt ist dahingehend wichtig, als dass sie das Verständnis gegenüber der konkreten Person bzw. ihre Abgrenzung zu anderen Personen deutlich macht.
Allem gemeinsam ist die Intention, sowohl eine faktenorientierte Kompetenz für die Person (auch als Vertreter einer Zielgruppe) aufzubauen als auch – und vor allem – die Fähigkeit zur Empathie, die eine tiefere Form der Einsicht möglich machen soll.
Es geht dabei um verschiedene Verständnisfelder gegenüber den betreffenden Personenkreisen (Menschen), beispielsweise um das konkrete Interview (+ Varianten) und die einfache Frage: Was wurde mir erzählt? / Was wurde gesagt? Es gibt die Methode der Observation (+ Varianten) und die Frage: Was haben die Betreffenden tatsächlich gemacht? Schliesslich gibt es die subjektive Ebene der reflektierenden Wahrnehmung (Empathie + Insights) und die Fragen: Wie war das Gefühl? Was war mein wirklicher Eindruck?
Ein wichtiger Aspekt soll im Zusammenhang mit dem Prozess Design Thinking an dieser Stelle kurz vorgestellt werden. Die Bedeutung eines sogenannten Point of View beim Design Thinking als Kreativmethode werden Personas gebildet. Das sind fiktionale und narrative Protagonisten einer Personengruppe (= Zielgruppe), die im Zusammenhang einer Kreativlösung vermutet wird. Um diese Personas möglichst prägnant beschreiben zu können bzw. um für jene ein tiefes Verständnis aufbauen zu können, versucht man, mit einem Point of View eine individuelle Perspektive auf das konkrete Problem (die kreative Herausforderung = Challenge) zu entwickeln.
Dieser Point of View (Kurzform: POV) entwickelt sich aus der Analyse der Gespräche und Beobachtungen (z.B. mithilfe von Interviews). Darauf aufbauend wird versucht, die weitergehende Bedeutung der Erkenntnisse verständlich zu machen. Schliesslich spielt die oben angesprochene subjektive Interpretation des gesamten Komplexes der Betrachtung eine grosse Rolle. Im Zusammenspiel dieser drei Phasen spricht man von der Vorstellung eines User, der Beschreibung des Needs und der Erkenntnis, die mit den sogenannten Insights zu einem verdichteten Point of View führt. Diese Form der Untersuchung (als Teil des User Researchs) nennt man auch eine qualitative Untersuchung (z. B. im Zusammenhang mit Interviews). Weitere Informationen zu dem Thema finden sich auch bei dem Text zum Thema Kommunikationsstrategie.
Mode of Activity
Mit einem Blick zurück zu dem Beispiel einer konkreten Aktivität (in der Folge Experience) als Sport- bzw. Lauferlebnis lassen sich bestimmte Prozesse unterscheiden. Grundsätzlich bleibt festzuhalten:
Jedes Produkt ist in ein Erfahrungsspektrum unterschiedlicher Komplexität eingebunden, innerhalb dessen der Anwender mehrstufig konzentriert (bzw. aufmerksam) ist.
Bis zur Nutzung und Aktivität kann es mehrere Phasen geben, die die jeweilige Entscheidung formen.
Beispiel Sport/Laufen:
Von der Vorbereitung bis zu der Aktivität durchläuft der Anwender einen mehr oder weniger bewussten (intrinsischen, extrinsischen) Entscheidungsprozess. Was wähle ich aus, um meiner Aktivität ideal nachgehen zu können? Wie ist das Wetter? Wo laufe ich? Wie lange laufe ich? Wie ist der Untergrund? Gibt es soziale Erwartungen (was tragen andere)? Was gefällt mir?
Innerhalb dieses radialen Spektrums werden schliesslich Entscheidungen getroffen.
Pre-Decision
Die Person will eine Entscheidung treffen, sie plant die Möglichkeit eines Entschlusses und dessen Umsetzung. Diese Phase ist wichtig, da sich in dieser Situation und der folgenden Chronologie konkreter anderer Aktivitäten und weiterer Einflussfaktoren der Fokus dieser möglichen Entscheidung bis zur Aufgabe verändern kann. Dies scheint an dieser Stelle von untergeordneter Bedeutung. Bei einem Blick auf den kommerziellen Prozess einer Kaufentscheidung ist jedoch genau diese Phase der Realisierung immanent.
Pre-Activity
Die Person hat eine Entscheidung getroffen und kommt nun in eine Phase vor der Aktivität selbst. Hier geht es um die jeweilige Spezifikation dessen, was konkret realisiert werden wird, den Zeitpunkt, den Kontext [x] und den Umfang.
Activity
Die Person realisiert die getroffene Entscheidung zu einem konkreten Zeitpunkt bzw. im Verlauf der dann vergehenden Zeit und macht – als wichtigsten Aspekt – eine Erfahrung, die nach Ablauf der Aktivität eine mögliche Wiederholung, eine Variante des eben Erlebten, oder einen Abbruch des gesamten Aktivitätsfeldes bewirkt.
User-Type
In allen Phasen wird ein bestimmter User-Type deutlich, eine Person, welche mit einer individuellen Charakteristik eine Handlung vollzieht und diese zu einer Erfahrung führt.
After-Activity
Darüber hinaus spielt die positive Vernetzung der dabei gemachten Erfahrung eine wichtige Rolle, da hier der Nutzer zu einem Promotor bzw. Botschafter für sich selbst oder für andere wird. Dies bedeutet, dass er/sie Argumente für eine Wiederholung, Erweiterung, Optimierung der Aktivität bzw. der dort gemachten Erfahrung sammelt.
In dem Zusammenhang spielt die Phase danach eine wesentliche Rolle:
Auf Basis der realisierten Erfahrung (Experience) hat die hier sogenannte After-Activity eine herausgehobene Position für jede weiterführende Handlung. Ebenso wie die Pre-Decision ist jedoch auch die After-Activity im Falle einer in weiten Teilen positiven Erfahrung noch keine tatsächliche fundamentale Prägung, die in der Folge zu einer tatsächlichen Integration der Aktivität in das prioritäre Spektrum aller Aktivitäten führt.
Diese spekulative Logik ist im klassischen Marketing [2] das sogenannte Relevant Set, soll hier aber einem weiter gefassten Verständnis dienen. Es geht hier, auch wenn die Perspektive eher kommerziell und angewandt wirkt, um ein grundsätzliches Verständnis für die sehr archaischen Verhaltensmuster von Menschen im Umfeld ihrer Erfahrungen und um den Umgang mit diesen. Rund um das Thema Mode of Activity gibt es weitere Informationen in dem Text zum Thema Kommunikationsstrategie.
Wer doch lieber auf Papier lesen möchte, findet hier das PDF.
© Carl Frech, Konzept und Modell: 2007, Text (Beschreibung): 2017
Die Nutzung dieses Textes ist wie folgt möglich:
01 Bei Textauszügen in Ausschnitten, zum Beispiel als Zitate (unter einem Zitat verstehe ich einen Satz oder ein, maximal zwei Abschnitte), bitte immer als Quelle meinen Namen nennen. Dafür ist keine Anfrage bei mir notwendig.
02 Wenn ein Text komplett und ohne jede Form einer kommerziellen Nutzung verwendet wird, bitte immer bei mir per Mail anfragen. In der Regel antworte ich innerhalb von maximal 48 Stunden.
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Ich setze in jedem Fall auf Eure / Ihre Aufrichtigkeit.