DESIGNBEGRIFF

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Was soll das überhaupt sein? Gestalten wir nicht alle und immer. Was ist das besondere am Design?

Der Begriff Design hat sich in den vergangenen drei bis vier Jahrzehnten in viele Bereiche der globalen Gesellschaften erweitert und sich aus einer Nischenposition zu einem wesentlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Faktor entwickelt. Dabei meint der Begriff Design heute nicht mehr nur die visuelle Erscheinung. Vielmehr bietet Design heute den Zugang zu einem Verständnis in einer immer komplexer werdenden Welt.

Als klassische, statische Form, als dynamische, transmedialisierte Kommunikation, als flüchtiger, permaaktiver Service, mehr noch: als strategische, prozessorientierte Methode. Design ist heute Ermittler, Mittel und Vermittler in einem.

Die wirtschaftliche Dimension wird erkannt, Design wird heute zur Industrie erklärt (Creative Industries), doch exakt dieser Vergleich stimmt wenig mit dem Anspruch überein, der eine vitale und zukunftsorientierte Perspektive auf das Thema Design heute anbietet: Design als Problemlösung, Design als kooperative Methode, Design als sozialer und innovativer Impulsgeber.

Design dringt heute explorativ in Lebens- und Arbeitsbereiche ein, untersucht Nutzungsanforderungen gemeinsam mit den späteren Nutzern und entwickelt Lösungen nach dem Prinzip:

Lösungen treten in der Nachbarschaft anderer Lösungen auf, so wie Probleme in der Nachbarschaft anderer Probleme auftreten.

Dabei geht es um kontextuelles, generatives und relatives Verständnis von Lebens- und Arbeitswelten. Kontextuell meint die Dimension der Abhängigkeit einzelner Teilaspekte, generativ meint die Entwicklungsdimension (z.B. im Rahmen der Medienentwicklung und der damit verbundenen Nutzungsgewohnheiten), und relativ versucht, die Dimension der Beziehungen prozessual zu verstehen und Ableitungen für Designansätze zu finden.

Diese abstrakte Beschreibung eines veränderten Anspruchs fokussiert den zentralen Aspekt: Das Design bewegt sich zunehmend von einer technologischen, produktions- und distributionsorientierten Perspektive zum eigentlichen Grund aller Gestaltungsergebnisse, dem Menschen. Warum ist das so? Einige Betrachtungen, die die oben formulierten Thesen mit konkreten Entwicklungen der letzten Jahre illustrieren sollen:

Die kommunikativen Anforderungen der Unternehmen und Institutionen haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten exponentiell beschleunigt. Diese Entwicklung findet ihre Ursache in der umfassenden Digitalisierung der gestaltungs- und produktionsorientierten Medien seit Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Die Entwicklungsprozesse haben sich seither in allen Designbereichen dramatisch verkürzt. Gleichzeitig stieg die Variantenvielfalt des optionalen Ergebnisses ins Unendliche. Die (software-) technischen Möglichkeiten geometrisierten den gestalteten Output bei gleichzeitiger Möglichkeit, bis kurz vor der Produktionsentscheidung (= Materialisierung) den Input offen und variabel zu halten. Dadurch haben sich nicht nur zeitliche und praktische Abläufe verändert, das Berufsbild Design hat sich seither grundsätzlich gewandelt.

War die Designerin bzw. der Designer bis zu diesen grundlegenden Änderungen integrierter Teil eines sequenziellen Entwicklungs- und Produktionsprozesses, so ist heute das Design ein integrativer, moderativer und kooperativer Faktor vielfältiger Disziplinen. Nicht mehr die Frage: Was baut worauf auf? (hierarchisch bzw. gruppenorientiert), sondern: Was reagiert womit? (heterarchisch bzw. themen- und zielorientiert) ist die entscheidende Frage in komplexen und dynamischen Gestaltungsprozessen.

Design wird hier zum enzymatischen Substrat in einem iterativen Entwicklungszyklus, der vor allem der Optimierung (= Qualität) dienen soll. Iteration meint hier die Teilaspekte Problemerkennung (Exploration [= Recherche und Analyse]), Lösungsbeschreibung (Definition [= Konzeption]), Gestaltungsansätze (Prototyping) und Anwendungsprüfung (Evaluation) als Segmente eines Entwicklungskreislaufs, der auf unterschiedliche (Inter-) Disziplinen setzt und von Beginn an die späteren Anwenderinnen und Anwender (Menschen) als Reflexionspartner integriert.

Die sich daraus ergebenden Effekte sind weniger in der produktionsorientierten Vergangenheit abgeschlossene Resultate, sondern vielmehr ziel- bzw. themenorientierte Extrakte, oft mit lokalem, situativem und temporärem Bezug (s. a. Collaboration). Das bekannte Stichwort aus dem Marketing hierfür wäre Customizing (one-to-many, -few, -one) Mit einer erweiterten oben formulierten Perspektive geht es vielmehr um konstruktive (versus instruktive), die Anwender zu jedem Zeitpunkt integrierende Ergebnispartnerschaften.

Interdisziplinarität als Stichwort für kollaborative Problemlösung (s. a. Design Thinking) auf der einen Seite, Transmedialität als Stichwort für einen grundlegend veränderten Umgang mit Medien auf der anderen Seite. Mit Medien sind hier vorwiegend elektronische Medien als permanente, prozess- und produktionsbegleitende Mittel gemeint (auch wenn das gestaltete Ergebnis als konkretes Produkt, als konkreter Raum, als materialisiertes Objekt realisiert wird).

Transmedialität meint hier auch die Abkehr der (technischen) Mediendominanz und die Konzentration auf Inhalte bzw. auf kontextuelle und anwenderbezogene Services, Produkte, Informationen und Episoden. Die Skalierung und Modularität von Inhalten, Funktionen und Strukturen werden genauso wichtig wie das konkrete greifbare Produkt (Tangibility als verbindendes Attribut für die Attraktivität und die Praktikabilität des Ergebnisses für die Zielpersonen, für Menschen).

Die Dimension dieser Durchdringung wird deutlicher, wenn wir kurz die zweite Digitalisierungsstufe seit der globalen Verbreitung von Onlinetechnologien betrachten.

Während der vergangenen 20 Jahre kann eine nahezu komplette Drehung der Medienperspektive festgestellt werden. Der institutionelle Fokus (Bookmark-Perspektive) dreht sich komplett hin zu den lokalen Protagonisten (Patchmark-Perspektive) bzw. rotiert er um diese. Hier wird die grundlegende Konvention einer linearen Bidirektionalität durch eine radial-immersive Digitalisierung in allen Bereichen menschlichen Lebens ersetzt.

Waren Medien ehemals passiv, später zunehmend mit aktiven Attributen ausgestattet und seit dem aufkommenden Multimedia schliesslich interaktiv, so sprechen wir heute von einer neuen Durchdringungsphase, der Permaaktivität.

Alles ist überall und immer sichtbar, nutzbar und zunehmend sensuell erfahrbar.


Wer doch lieber auf Papier lesen möchte, findet hier das PDF.


© Carl Frech, 2002

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