Vielleicht würden wir leichter lernen, wenn wir dem Machen, dem Ausprobieren eine grössere Chance geben würden.
Lernen folgt vielleicht einer gewissen Logik. Folgt daraus aber auch ein Verständnis über das, was man verstanden hat. Man könnte zu Beginn dieses Textes ganz einfach zusammenfassen: Es geht um das Normalste der Welt: Die Beobachtung.
Wenn man sich mit dem Thema Lernen im Zusammenhang unserer menschlichen Wahrnehmung beschäftigt, kann man den Standpunkt vertreten, dass jeder kommunikative Prozess innerhalb einer situativen Chronologie entsteht.
Das bedeutet, dass Kommunikation (bzw. Interaktion) und jede darauf basierende Entscheidung (z. B. eine Kaufentscheidung) immer eine episodische Komponente hat. Eine oder mehrere Personen reagieren auf äussere Impulse, die mit ihrem bewussten oder unbewussten Bedürfnis resonieren, sprich: Mehr oder minder im Gleichklang und damit passend sind.
Der Begriff der Episode spielt dabei eine zentrale Rolle. Jede Form von Leben und damit jede Form menschlicher Aktivität lässt sich auf einer gewissen Ebene erzählen, ist narrativ vermittelbar.
Unsere Vorstellung von Gegenwart ist in diesem Kontext immer eine mehr oder minder verifizierbare Zusammenstellung vergangener Einflüsse, die zu einem bestimmten (gegenwärtigen) Ergebnis geführt haben. In diesem Zusammenhang begründen Menschen üblicherweise auch den Wert ihrer Erfahrung als eine bestimme Form von Leistung, die sich im Laufe des Lebens anhäuft (nicht zuletzt auch durch aktives Lernen) und von welcher man dann innerhalb einer bestimmten Situation profitiert.
Aus dieser Perspektive wird die Dauer des Lebens bzw. werden die innerhalb dieser Zeit gewonnenen Erkenntnisse zu einem eigenständigen Wert erhoben, der lediglich durch weitere Lebenszeit optimiert werden kann, immer wissend, dass eben diese Lebenszeit auch die Grenzen für die Optimierung definieren wird.
Eine Perspektive, die davon ausgeht, dass Erfahrung im Sinne eines Qualitätsbegriffes und der damit gewonnenen Kompetenz nicht proportional zur Lebenszeit steigt, sondern eingebunden ist in ein Wechselspiel unterschiedlicher, auch manipulatorischer Einflussfaktoren, ist in unserem westlichen Denken nicht zwingend beheimatet, da sie auch ethische Fragen nach dem generellen Sinn des Lebens berühren würde.
Es wäre schliesslich ernüchternd, wenn das Leben in seiner Chronologie nicht zu einem mehr und damit einem sinnstiftenden Ganzen geformt werden würde.
Ein einfaches und eindringliches Beispiel lässt sich finden, wenn man Kinder beim Spiel beobachtet. Die Aufmerksamkeit von Kindern folgt in der Regel einem systematischen, besser systemischen Prozess, den man auch als archetypisch [2] bezeichnen könnte.
Kinder bemerken in ihrer Umwelt etwas Neues, eine gewisse Form der Störung findet statt.
Ist die Neugier geweckt, immer auch aus Gründen der situativen Absicherung bzw. dem [evolutionär bedingten] Bedürfnis nach Sicherheit generell, beginnt eine Phase der Beobachtung, welche üblicherweise zuerst kognitiv, schliesslich konkret (wenn möglich) angefasst und real zerlegt wird.
Das Zerlegen ist eine relevante Basis für eine erste Ordnung [2], eine Art Vereinnahmung dessen, was die Aufmerksamkeit erregt hat und in dieser Phase dadurch bedeutsam ist.
Diese erste Form der Ordnung (auch, wenn sie als Unordnung erscheint), ist gleichbedeutend mit dem Prozess des Entwerfens [2] [3]. Es entstehen in neue Versionen des Vorgefundenen (professionell ausgedrückt: Konstanten werden über die Kombination mit Variablen zu Varianten).
Dadurch entsteht ein erstes Verständnis, ein Klärungsprozess, eine Erklärung der Möglichkeiten, die üblicherweise dem sozialen Umfeld (z. B. den Eltern) vorgestellt werden.
Dieses Zeigen des Gemachten ist ein wichtiger Teil dieses Prozesses. Das Gezeigte fordert eine erste Bewertung, eine Einordnung von aussen, eine Reflexion, die dem Kind einen Deutungsraum für den nächsten Schritt (einen Relevanzraum = Sinn) gibt, welcher in der Folge wieder durch die Hinterfragung der äusseren Einschätzung einem iterativen Prozess zugeführt wird: Der Ablauf beginnt von Neuem, das Kind sucht einen anderen Startpunkt in dem beschriebenen Ablauf, oder es bricht alles ab.
Kinder erleben die Welt während ihrer frühen Entwicklungsphase noch vollkommen neu. Die Einschätzung in positiv oder negativ, in optimistisch oder pessimistisch als Haltungsstrategie ist noch nicht oder noch undeutlich entwickelt. Alles scheint möglich. Auf dieser Haltung gründet das sogenannte Urvertrauen, warum sich ein Kind in vollkommener Überzeugung in die Arme seiner Eltern [2] fallen lässt. Alles wird ohne Hinterfragung und in damit in grenzenloser Komplexität aufgenommen.
Das junge menschliche Gehirn ist in dieser Lebensphase nahezu schutzlos jedem äusseren Ausdruck ausgeliefert, warum sich ggfs. auch erklären lässt, dass bestimmte Sinne [2] (z. B. das Sehen) erst im Laufe der Zeit nach der Geburt ihre volle Leistungsfähigkeit erreichen. Dieser Zustand ist jedoch schnell relativiert, das heisst, die Erfahrungen bringen den Menschen dazu, dass er seine Lernfähigkeit und -bereitschaft den jeweiligen Gegebenheiten anpasst, diese unterschiedlich effektiv bzw. effizient [2] gestaltet, je nach den Umfeldfaktoren. Man kann daher schliessen, dass die jeweilige Lernfähigkeit mit der Intensität neuer Erfahrungen korreliert. Das heisst einfach, wenn immer weniger Neues passiert, dann nimmt die Fähigkeit zum Lernen (als Kompetenz) entsprechend ab.
Im Umkehrschluss darf man vermuten, dass eine permanente Zufuhr neuer Erfahrungen bzw. die Offenheit für Neues die Lernkompetenz weitgehend aktiv hält. Dies ist selbstverständlich keine sehr tiefgehende Feststellung, kennt man doch die Effekte, welche durch Reisen, durch neue Beziehungen, durch jede neue Erfahrung die menschliche Fähigkeit zur Veränderung und damit auch die Lernfähigkeit erweitert.
Ich habe über die Jahre eine eigene Position entwickelt, wie sich Wahrnehmung bzw. der Umgang mit allem Neuen in Phasen verschiedener Intensität unterscheiden lassen. Je nach Bedeutung für unsere individuellen Motive (auf welchen dann auch eine bestimme Motivation beruht), fallen diese natürlich unterschiedlich und damit für uns mehr oder weniger bewusst auf.
01 Die Beschreibung des Offensichtlichen (der Oberfläche)
Eine Person versucht das Offensichtliche zu beschreiben. Sie zerlegt (analysiert) den Betrachtungsgegenstand multisensorisch.
02 Beschreibung der möglichen Funktionen
Die Person versucht potenzielle Funktionen des betrachteten Gegenstandes (übertragbar auf – komplexere – soziale Szenarien) zu beschreiben, mit dem Ziel einer ersten Einschätzung (im archaischen Kontext zum Zwecke der Sicherheit).
03 Reflektionale Sicht – Objekt wird in Objektbeziehungen gebracht
Die Person versucht, das Objekt im Kontext des Umfeldes einordnen zu können, in welchem das Objekt wahrgenommen wird.
04 Kontextuelle Sicht – Zusammenspiel der Objektnachbarschaften.
Die Person versucht, relevante Kontexte zwischen den Objekten (Objekt und Umgebung) zu erkennen.
An dieser Position des Wahrnehmungsprozesses entwickelt sich ein relevanter Schritt. Die Person verlässt die überwiegend rationale bzw. kognitive Ebene der Annäherung an ein potenzielles Verständnis dem Objekt gegenüber und entwickelt komplexere Fragestellungen, welche zum einen eine gewisse Form der Bewusstheit voraussetzt und zum anderen auch im Zusammenhang einer gewissen Lernsituation (bzw. Erfahrung) gesehen werden kann. Diese Phase der Wahrnehmungsverarbeitung unterscheidet möglicherweise auch den Menschen in einem wesentlichen Punkt als das weitestgehend domestizierte Wesen in der Natur.
05 Situative Sicht – wo und wie wird das Objekt angewandt?
Die Person entwickelt eine gedankliche relationale Ebene zwischen den Objekten bzw. zwischen dem Beobachteten. In dem Zusammenhang wird über einen konkreten Nutzen eine Anwendung spekuliert bzw. über Variationen [2] dessen.
06 Emotionale Sicht – eigene Erfahrungsebene wird vorgestellt
Die Person verbindet die Spekulationen des Objektes bzw. des Beobachteten mit der Erinnerung an die eigene Erfahrung und versucht damit eine relevante Erkenntnis zu generieren. Dabei werden insbesondere Muster verglichen, welche im Zusammenspiel der jeweiligen Persönlichkeit unterschiedliche Variationen erlauben (Prinzip: Konstante + Variable = Variante).
07 Episodische Sicht – (retrospektiv = Erinnerung) Objekt bekommt eine Rolle
Im Zusammenspiel des systemischen (musterbezogen) Abgleichs der Beobachtung entwickelt die Person eine erste episodische [2] Perspektive. Das bedeutet, dem Objekt bzw. dem Beobachteten wird über die Spiegelung mit der Erinnerung (= Erfahrung) und der Spekulation über die korrekte Interpretation des Gesehenen eine Art Rolle, eine Aufgabe im Wechselspiel mit der direkten Umgebung zugewiesen (Suche nach einem Sinn, verbunden mit der Gefahr der Sinn- bzw. Belanglosigkeit).
08 Fantastische Sicht – (prospektiv = Vision) auch innovierende Sicht
Wenn das Interesse der beobachtenden Person bis zu dieser Phase besteht, wird in der Regel ein prospektive Perspektive auf das Objekt angestrengt. Das bedeutet, die Person hat sich der Relevanz des Beobachteten soweit versichert, dass sie ein Motiv für eine eigene Vision entwickelt. Das Beobachtete wird mit der Fantasie der Person angereichert und dadurch potenziell neu interpretiert. Diese Ebene der innovierenden Sicht benötigt zwingend die Bereitschaft, einen disruptiven [2] [3] Prozess zu starten, welcher möglicherweise in einem gewissen Widerspruch zu der tatsächlichen Anwendung steht bzw. dann von anderen Personen nicht mehr identisch verstanden werden würde, da deren Wirklichkeit (und damit das Gelernte) des Betrachteten zu deutlich abweicht.
Die hier genannten acht Phasen zum Thema Lernprozesse sind von mir aufgestellte Hypothesen, ein Ergebnis von Beobachtung und Erfahrung sowie dem Versuch, diese in einer nachvollziehbaren Logik zu formulieren.
Wer doch lieber auf Papier lesen möchte, findet hier das PDF.
© Carl Frech, 2005
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