SCHÖNHEIT_3 [codes]

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Natürlich wissen wir alle, was schön ist. Wir scheinen damit geboren zu sein. Wir bestehen auf unsere eigene Sicht für das Schöne? Und doch wollen wir so sein wie die anderen.

Wie würden wir die Welt wahrnehmen – sähen wir sie mit erwachsenen Augen zum ersten Mal? Stellen wir uns vor, in unserem Körper und unserem Gehirn wären alle Möglichkeiten zur Rezeption [2] angelegt, doch wir hätten noch nichts gesehen, nichts erfahren, nichts wäre passiert.
Stellen wir uns vor, es gäbe einen zeitlosen Übergang von diesem Nichts zu dem, was wir in dieser uns bekannten Welt kennen, wo wir uns auskennen und darin permanent das für uns Relevante erkennen.

Etwas würde plötzlich ein Licht anmachen, alle unsere Sinne würden von einem Moment zum anderen stimuliert. Wir würden in einem Augenblick [2] zu existieren beginnen. Alles würde zur exakt gleichen Zeit zu unserer Wirklichkeit. Ausser unseren körperlichen und mentalen Fähigkeiten hätten wir nichts gelernt, nichts gesehen, keine Prägungen [2] erfahren und damit auch keine Vergangenheit [2] [3].
Ähnlich einer Amnesie. Der Boden unserer Lebensfähigkeit wäre uns komplett entzogen.

Diese Vorstellung ist uns nicht möglich, und wenn, dann nur durch eine radikale Abstraktion. Einer mentalen Übung gleichkommend. Vergleichbar dazu ist es uns auch nicht möglich, die Aufgabe zeichne auf einem Blatt Papier das Nichts erfüllen zu können. Aber warum?

Wir sind als die aktuell exponierten Vertreter höherer Säugetiere Opfer eines Zwangs zur Vorstellung. Wir suchen in allem einen Sinn [2] [3] bzw. wollen in allem etwas erkennen. Dieser Zuordnungsdruck wird durch die existenzielle Anforderung weiter verstärkt, da wir unser Leben in ausreichender Sicherheit verbringen wollen.

Würden wir unsere Wahrnehmung nur auf unseren Sinn des Sehens beschränken, dann verbringen wir ca. 99 Prozent unseres sichtbaren Lebens in exponentiell ansteigender Unschärfe [2].
Jedes menschliche Auge hat einen Punkt des schärfsten Sehens. Medizinisch Fovea centralis genannt, ist dieser kleine Fleck auf dem hinteren Teil unserer Netzhaut dafür verantwortlich, dass wir überhaupt etwas scharf sehen können.

Das Verrückte ist, wie wir uns glauben machen, wir würden generell scharf sehen können. Denn tatsächlich ist dieser Punkt des scharfen Sehens sehr klein. Wenn wir unseren Arm ausstrecken und auf die Fingerkuppe unseres Zeigefingers schauen, entspricht dieser Punkt ungefähr dem, was man als physikalisch korrekte Schärfe bezeichnen würde.
Zumindest dem Schärfegrad, den uns die Natur als ausreichend für unser Leben zugewiesen hat (Raubvögel haben ein mindestens 10-mal höheres Sehvermögen).
Der Rest ist für uns zunehmend unscharf.

Wir glauben jedoch tatsächlich, das wäre nicht so. Aber wie machen wir das?
Letztlich ist es naheliegend und verblüffend einfach.

Erst einmal gilt es zu akzeptieren: Mit der horizontalen Ausrichtung unseres Augenpaares sehen wir physikalisch weitgehend alles unscharf.
Wichtig für unsere tatsächliche Wahrnehmung ist allerdings: Unser Leben hat nicht in diesem Augenblick begonnen, sondern wir haben seit unserer Geburt mit unzähligen Augen- und Blickbewegungen Unzähliges wahrgenommen bzw. diesem eine mehr oder weniger für uns relevante Bedeutung zugeordnet.

Unsere Wahrnehmung folgt damit in unterschiedlichen Eskalationsstufen [2] immer dem, was auf einer Bedeutungsskala [2] in unserem Leben aktuell die höchste Priorität hat.

Das Verrückte, und ich meine dies präzise im Sinne des Wortes, ist dabei, dass sich diese Zuordnung einer Priorität permanent ändert. Wir verrücken bei jedem Sehen das Gesehene stets ein klein wenig.
Man könnte auch sagen: Nichts, was wir sehen, sehen wir immer gleich. Wir vergeben nie eine identische Bedeutung, auch wenn es dasselbe ist.

Der gleiche Tisch in unserem Wohnraum wird bei jeder Betrachtung einen Hauch anders konnotiert. Es bilden sich permanent Varianten dessen, was da ist bzw. was wir glauben zu sehen.
Wir sprachen über das Phänomen der Unschärfe als Normalität [2]. Unser Gehirn speichert im Laufe unseres Lebens in einer Form der fraktalen [2] Sortierung unzählige Bilder und legt diese, fein differenziert nach Selbstähnlichkeit und ihrer für uns relevanten Bedeutung (ich wiederhole mich hier bewusst) kognitiv ab.

Ein Beispiel: Wenn wir eine Strasse entlang schlendern und im Begriff sind, diese zu überqueren, dann sehen wir im Unschärfebereich unseres Sehwinkels möglicherweise ein Fahrrad kommen. Natürlich immer in Relation zu unserer Aufmerksamkeit [2] [3].

Da wir ein Fahrrad und eine Person, die auf einem Fahrrad fährt, nicht zum ersten Mal sehen, sondern in unserem Kulturkreis unzählige Male gesehen haben, vergleicht unser Gehirn dies im Minimalbereich einer Sekunde mit dem unscharfen Objekt, welches sich uns nähert.

Dieses Unschärfeobjekt wird mit Objekten verglichen, die wir auf einem der unendlich vorkommenden Regale in unserem Gehirn mit der Aufschrift Fahrräder abgelegt haben, und stellen fest, dass es sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um ein Fahrrad handeln muss. Aber wie passiert das?

Wenn wir uns unser Gehirn als Geheimzentrale vorstellen, dann gibt es für jede Aktivität, an welcher unser Gehirn beteiligt ist (also bei allem), einen Agenten. Jedes Thema und damit jede Aufgabe ist klar einem Bereich bzw. einer Abteilung (also einem oder mehreren Agenten) zugewiesen. Gleichzeitig sind alle diese Abteilungen miteinander vernetzt und können nach Bedarf neue Strukturen bilden.

Das Besondere: Der einzelne Agent ist nicht wirklich intelligent. Die Intelligenz entsteht erst durch eine möglichst hohe Vernetzung [2] [3] aller Agenten zu möglichst vielen Anforderungen (Tasks [2]).

Bei unserem Beispiel eines Fahrrades, welches im Unschärfebereich wahrgenommen wird, übernimmt exakt an jener Stelle ein besonderer Agent in unserem Gehirn, der für die Kontextualisierung eines bestimmten Sets unserer Erfahrungen die zentrale Verantwortung hat, und entscheidet für uns.
Das Verrückte: Er gibt uns die Antwort auf eine nicht bewusst gestellte Frage.

Nicht zuletzt Marvin Minsky, 1927 – 2012, hat die Metaphorik der Agenten [2] [3] in Verbindung mit seinen Gedanken rund um das Thema Intelligenz [2] und der Relevanz für Softwarestrukturen zum ersten Mal benutzt.
Zurück zu unserem Thema und dem Beispiel.

Das Unschärfeobjekt Fahrrad wird in diesem Augenblick in unserem Gehirn durch ein Objekt ersetzt, welches wir in einer anderen Lebenssituation unterschiedlich präzise, aber in jedem Fall schärfer gesehen haben.

Als Ergebnis ergibt sich eine Form der Morphologie [2] [3], da unser Gehirn (indirekt also wir) aus einem Set von Einheiten permanent einen Abgleich herstellt und uns dadurch vorgaukelt, wir würden das Fahrrad scharf sehen. Das tun wir jedoch nicht.
Es ist nur eine situative Bildüberlagerung in unserem Gehirn. Und diese passiert, bevor wir unsere Augen oder unseren Kopf bewegen. Wie gesagt, alles ein wenig verrückt.

In der Hirnphysiologie nennt man dies auch vorbewusste Reizauswertung. Bei Messungen mit MRT-Systemen (Magnetresonanztomografie) konnte man belegen, dass in den Untergeschossen unseres Gehirns [2] [3] bestimmte Entscheidungen schon getroffen sind, bevor uns dies als souveräne Wahrnehmung bewusst wird und wir es als unseren freien Willen bezeichnen würden.
Nun könnten wir sagen: Da wir all dies nicht beeinflussen können, muss es uns auch nicht interessieren.

Allerdings ist das wichtig und sollte uns interessieren. Denn im Prinzip ist alles, was wir in unserem Leben erleben, eine Herausforderung. Die Dramatik dessen, was uns passieren könnte, reduziert sich jedoch mit jeder Sekunde unseres Lebens, schlichtweg mit allem, was wir überlebt haben.
Manche überhöhen diesen Effekt der vergangenen Lebenszeit als Erfahrung mit dem Unterton von Weisheit. Dabei ist es vielfach nur die Erkenntnis [2], dass es auch diesmal noch mal gut gegangen ist.

Bei unserem Beispiel hätten wir erst dann ein Problem, wenn wir noch nie ein Fahrrad gesehen hätten, damit nicht wüssten, was eine Strasse ist bzw. wir keine Erfahrung gemacht hätten, bei der wir uns im Umfeld schnellerer Objekte als uns selbst (als Subjekt) bewegt hätten. Jedoch gab es dieses erste Mal. Es gab einen ersten Moment der Bewusstheit über etwas Neues. Wir haben es nur vergessen.
Dazu ein schönes Zitat von Marie von Ebner-Eschenbach, 1830 – 1916:

Die Summe unserer Erkenntnisse besteht aus dem, was wir gelernt, und dem, was wir vergessen haben.

Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin

Ein Beispiel zum Unterschied [2] zwischen einer Herausforderung und einem Problem:
Wenn wir von einem höheren Felsvorsprung oder einer Klippe in einen See springen wollen und schwimmen können, dann gibt es zwar – wenn wir vorhaben, an dieser Stelle zum ersten Mal zu springen – die Unsicherheit darüber, wie tief der See an dieser Stelle ist.

Es ist möglicherweise eine Herausforderung, aus dieser Höhe zu springen, wenn wir das zuvor noch nie gemacht haben. Doch da wir schwimmen können, haben wir kein Problem, da wir, sobald wir im Wasser gelandet sind und der See an der Stelle tief genug war, wieder ans Ufer schwimmen können.

Ein Problem haben wir erst, wenn wir nicht schwimmen können.
Das Wort Problem kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Vorsprung, Hindernis oder eben Klippe. Wir müssen etwas überwinden, um eine Lösung zu erreichen.

Wir könnten auch von einer Konjunktion sprechen. Denn es gibt zwischen den beiden einen Übergang. Das Problem ist das jüngere, noch unerfahrenere Geschwister der Herausforderung. Warum?
Der Prozess des Lernens ist nicht an eine einzige Methode [2] [3] [4] gebunden. Es kann schliesslich auch sein, dass wir zwar nicht schwimmen konnten, es aber in dem Moment, wo wir schwimmen müssen, sehr schnell lernen und dann können.

Vielleicht wird damit ein wenig klarer, welche Rolle unser Gehirn in jenem Augenblick spielt, wenn wir etwas sehen und dieses Etwas decodieren [2] (müssen). Damit nähern wir uns langsam der Frage, was dies alles mit der Überschrift Schönheit zu tun hat?

Wir sind präsent, solange wir leben. Wir können uns nicht nicht präsentieren (in Anlehnung an das bekannte Axiom von Paul Watzlawick, 1921 – 2007: Man kann nicht nicht kommunizieren).
Selbst wenn wir körperlich nicht anwesend sind, sind wir Teil einer Gemeinschaft, eines Soziotops. Wir verbringen mit dem Tag unserer Zeugung (vielleicht sogar davor) unser komplettes Leben (und vermutlich auch über einen gewissen Zeitraum danach) unter einer Aura sozialer Beziehungen. Welcher Art auch immer.

Aura ist ein Attribut, das erst durch seine Zuweisung auf ein Objekt, eine Person bzw. eine Situation für uns Menschen vorstellbar wird. Mit Zuweisung meine ich weder die Legitimation des Begriffes durch eine äußere Instanz noch die bewusste, also die kognitiv beschreibbare eigene Einordnung. Was dann?

Es kann ein sehr sublimer Akt der Wahrnehmung sein, etwas Unaussprechliches, der Sprache enthobenes, eine subjektive Eindringlichkeit, welche uns einnimmt, uns auffällt, die sich von allem anderen an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit unterscheidet.
Dazu passt: Der Begriff Das Erhabene basiert in einer Ausdeutung des lateinischen Wortstammes auf dem Wort sublim bzw. Sublim(at)um (Wikipedia).

Im sprachlichen Umfeld der Aura sprechen wir auch von Charisma. Der altgriechische Begriff meint damit die Gnadengabe, eine aus Wohlwollen gespendete Gabe (Wikipedia).
Mit dieser Beschreibung entzieht sich der Begriff von Beginn an der Einflussnahme. Entweder es ist so (man hat es) oder eben nicht.

Wir könnten hier von Glück [2] [3] sprechen, vielleicht auch von Zufall. Oder wir nennen es eine Gabe, die jedoch implizit mit der Hybris verbunden scheint, dies wäre aus gutem Grund so; wäre verdient und läge ausserhalb dessen, was ein Mensch als Individuum beeinflussen könne. In anderen Worten: Eine Gabe ist etwas Besonderes und aus eigener Leistung nicht erreichbar.

Mit einem etymolgischen Blick: Es gibt die Begabung, das Talent.
Wir sprechen von einer Aufgabe, wenn sie von einer betreffenden Person geleistet werden kann, wenn sie die Gabe dafür hat.
Wir meinen mit Aufgabe jedoch auch die Pflicht und damit etwas, dem man sich kaum entziehen kann.
Doch es kann auch bedeuten: Jemand gibt etwas auf, aus welchen Gründen auch immer. Im extremen Fall wird diese Form der Aufgabe zur Kapitulation und damit zur Unterwerfung.

Wir verbinden mit einer Gabe auch ein Geschenk und damit das, was man als auserwählte Person erhält, wenn jemand anderes dies [für uns] entscheidet. Wir werden beschenkt und können dann entscheiden, ob es uns gefällt. Allerdings immer unter dem subtilen Charakter einer Aufforderung zur Freude über das, was man als Gabe erhalten hat. Die Person, welche uns beschenkte, scheint darauf ein unausgesprochenes Recht zu haben.

Immer scheint es jedoch ein Akt zu sein, der als das Besondere gilt. Es ist das etwas, was unerwartet kommt. Manchmal auch einfach passend zu dem, für was man davor etwas geleistet hat.

Man kann sich natürlich auch selbst beschenken. Verdient oder nicht, ist vermutlich nicht das entscheidende Kriterium bzw. wir lassen das hier mal beiseite.

Und damit ist die Unmöglichkeit der Einflussnahme, wie weiter oben beschrieben, wieder ausgehebelt.
Natürlich sind Menschen in der Lage, ihre Erscheinung und damit die Anmutung ihrer Präsenz in gewissen Grenzen zu steuern.

Vergleichbar mit dem Gefieder eines Vogels sind immer die Kommunikation bzw. die Interaktion mit der Aussenwelt verbunden. Erinnern wir uns an das Axiom von Paul Watzlawick und meine daran angelehnte Variante dazu weiter oben.

Jedoch anders als bei den Federn eines Vogels haben Menschen die Möglichkeit, ihre Präsenz weitgehend variabel zu gestalten. Doch mit dem bedeutenden Unterschied, ihre Erscheinung vor allem nur innerhalb des Akzeptanzraums ihrer kulturellen Umgebung verändern zu können.

Wird dieser Raum überschritten, betritt die betreffende Person eine Sphäre der mehr oder minder ausgeprägten Provokation (für andere). Jedoch verbunden mit dem Potenzial, damit als Impulsgeber den Akzeptanzraum selbst zu variieren, also zu verändern. Es entsteht [akzeptiertes] Neues. Es entstehen Trends, denen andere in der Folge folgen (mögen).

Wird diese Sphäre des provokativen Neuen überschritten, folgt meist Ignoranz oder man wird mit Ablehnung bestraft. Eine kulturelle Konvention im Umfeld der Gesellschaft wurde verletzt. Man ging zu weit.

Der gedankliche Ausgangspunkt weiter oben war die Frage nach der Aura.

In seinem im Jahr 1935 erschienenen Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit spekulierte Walter Benjamin, 1892 – 1940, über die Erhabenheit eines Kunstwerkes, über das Einmalige und damit die Echtheit (Original [2]) desselben.
Der Gedanke, welcher ihn damals leitete, war der Zerfall dieser Attribute durch die Reproduzierbarkeit dieser Einmaligkeit (dem Kunstwerk).

Wenn wir diesen Gedanken in unsere von einer gewissen Flüchtigkeit geprägten kommerziellen Gegenwart portieren, dann könnten wir den Standpunkt vertreten, wir wären im Begriff, nahezu jede Einmaligkeit, alles Erhabene der von Benjamin genannten Reproduzierbarkeit zu opfern.
Das Original diffundiert dabei in der Austauschbarkeit, der Kombinierbarkeit, man könnte sagen, der Konfiguration und damit einer Methode, mit der wir unsere Erscheinung steuern (wollen) bzw. wie wir unsere Welt gestalten.

Bleiben wir in der Folge bei dem Begriff der Erscheinung.

Die erste Frage dabei lautet: Wie erscheinen wir?
Unsere Erscheinung meint hier schlicht das Äussere unserer Präsenz. Alles, was die Aussenwelt konkret wahrnehmen kann und will (nicht muss), sobald wir sichtbar sind.
Natürlich ist unsere Erscheinung komplexer in ihrer Wirkung. Ich meine damit das Selbstbild [2] [3] im Spannungsfeld zum Fremdbild [2] [3] (durch die äussere Welt).
Doch lassen wir das einfach mal so stehen.
Wichtig ist nur die Feststellung der subjektiven Perspektive jener, die uns wahrnehmen (Fremdbild). Deren Sicht ist immer mit dem Filter ihres eigenen Profils verbunden.

Die zweite Frage lautet: Was verstehen wir unter einem Code?
Kurz gesagt meine ich damit jedes Merkmal von uns als Person in unserem Kulturraum, in Relation zu einer bestimmten Situation sowie eingebettet (immersiv) in die jeweilige Zeit und den damit verbundenen Konventionen.
Mit dieser Definition ließe sich natürlich alles subsumieren, was wir als handelnde Wesen [2] [3] in unserem Umfeld beeinflussen können.

Im Wesentlichen ist das auch so. Wir werden uns im Weiteren etwas näher damit beschäftigen, was tatsächlich eine bewusste Handlung ist und was nicht.

Mit Codes verstehen wir jede kommunikative Übereinkunft (Konvention) zwischen mindestens zwei Positionen [2], in unserem Fall also mindestens zwei Menschen.
Natürlich könnten wir über Konventionen zwischen Menschen und Tieren spekulieren, also über das Regelwerk für die Kommunikation zweier sich im Prinzip fremder Spezien [2].
Uns interessiert jedoch nur das Verständnis konträrer Positionen [2] generell sowie das Regelwerk, welches soweit bekannt sein muss, damit ein Code dechiffriert, also decodiert und dann verhandelt werden kann.
Auch das lassen wir mal so stehen.

Die dritte Frage lautet: Was betonen wir?
Präziser müssten wir fragen: Was betonen wir, aus welchem Grund? Letztlich verfolgen Menschen individuelle Motive und gründen darauf ihre Motivation, etwas zu tun, sich damit für das eine und gegen das andere zu entscheiden.
Wir könnten auch von Intention sprechen. Damit meine ich die konkrete, die bewusste Absicht, mit dieser Form des [bewussten] Auftretens etwas erreichen zu wollen, sowie verbunden mit dem Wissen bzw. der Ahnung darüber, dies auch zu können.

Die Übergänge zwischen diesen drei Fragen könnte man auch mit dem Attribut fluide belegen. Fliessende Übergänge einer graduell immer bewussteren Reflexion und damit die Erfahrung, welche Ziele ein Individuum über die Wirkmächtigkeit der eigenen Präsenz erzielen (kann).

Ein Vorschlag in Form dreier Leitsätze als Antworten zu den oben gestellten Fragen:

Vor allem sind wir aktive Wesen, wir machen Erfahrungen (ob wir wollen oder nicht). Wir können nicht anders, als im Kontinuum [2] der Zeit die Welt permanent [neu] zu interpretieren.
Jede Wahrnehmung soll dabei einen sinnvollen Platz auf der Bühne unseres Lebens erhalten.
Sinnvoll meint hier Ordnung, damit Erinnerung [2] bzw. Orientierung sowie das Bedürfnis nach Sicherheit, um innerhalb gegebener Bedingungen von der Welt um uns erkannt und akzeptiert zu werden.
In Anlehnung an die einleitenden Gedanken zu Beginn, hier noch einmal als Leitsatz:

Zuordnung ist vergleichbar mit Einordnung. Wie sonst sollten wir etwas erkennen [können]?
Damit befriedigen wir vermutlich auch unser schon erwähntes Bedürfnis nach Sicherheit.
Blöderweise in Verbindung mit einem [diffusen] Wahrnehmungsdefekt, immer dann etwas zu übersehen, wenn es zu konstant und/oder zu inflationär auftritt. Wir sprachen schon von der Unschärfe beim Sehen.

Jedoch hat dieser Defekt einen relevanten Effekt [2]: Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche. Unsere Fähigkeit, aus dem visuellen Dickicht unserer Wahrnehmungen, das für uns Bedeutungsvolle erkennen zu können, könnte man auch mit einem Relevanz- oder Plausibilitätsfilter [2] vergleichen.

Es scheint ein Merkmal von Intelligenz [2] zu sein, ohne besondere Umwege und mit hoher Sicherheit an die richtige Stelle in ein Regal zu greifen, auch wenn wir das Ding nur unscharf sehen. Wobei wir diese Leistung nur dann erbringen können, wenn wir das Prinzip eines Regals in einem bestimmten Kontext (zum Beispiel in einer Küche) gelernt haben und in der Folge dadurch die Chance hatten, das Prinzip (Küche) möglichst durch die Komplexität der auftretenden Varianten vergleichen zu können.
Dies scheint allzu banal und unerheblich. Das ist es aber nicht.

Ist es eine Frage von Intelligenz [2], die Stimmung eines Menschen in einer Menge anderer Menschen und aus grosser Entfernung so sicher zu interpretieren, um dann vielleicht besser die Strassenseite zu wechseln?
Oder mit Freude auf diese Person zuzugehen.

Wir sprechen von Schönheit in Verbindung mit Codes. Da wir alles Sichtbare und alles Wahrnehmbare nur im Kontext unserer sozialen Umgebung [2] verhandeln können, um durch Bildung von Konsens einen [für uns relevanten] Wert vergeben zu können, unterliegt auch die Definition von Schönheit einem permanenten Abgleichen.

Abgleichen entsteht durch Vergleichen und damit durch die Klärung, was zu einer bestimmten Zeit bzw. von einer bestimmten Gruppe als schön wahrgenommen (und damit auch so eingeordnet) wird.
Es entwickeln sich temporäre Konventionen zur Frage, was aktuell schön sein soll.

Mit anderen Worten: Wenn ich etwas abgleiche, dann prüfe ich zwei Werte auf Gleichheit. Wenn ich etwas vergleiche, dann suche ich nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden.
Man könnte auch sagen: Abgleichen ist die schwächere Version vom Vergleichen (lassen wir mal die damit verbundenen Begriffe Angleichen und Ausgleichen beiseite).

Zurück zum Thema: Das Prinzip eines Codes hat im Grundsatz das Ziel der Verkürzung eines kommunikativen Prozesses. Ich erkenne eine Codierung dann, wenn es aus einem Zeichenvorrat herausragt, wenn es einen Unterschied deutlich macht. Wir könnten teilweise auch von einer Singularität sprechen.
Das kennen wir im Strassenverkehr, wir kennen es auf der Suche nach einem Produkt im Supermarkt, beim Spazieren durch die Natur oder beim Interpretieren (Decodieren) einer Geste, und sei es auch nur der Blick eines Freundes in einer bestimmten Situation.

Gleichzeitig sind wir nur dann in der Lage, diesen Unterschied zu erkennen, wenn wir – ja, das klingt sehr trivial – den Unterschied erkennen.

Menschen sind Spuren- und Fährtensucher. Sie finden durch die Deutung ihrer Welt einen Weg aus einem Wald. Warum sollte ein ähnlicher Impuls bzw. eine vergleichbare Fähigkeit nicht auch für jene Zuordnung eine Rolle spielen, um das Attribut Schönheit zu beschreiben?

Da wir im Laufe unseres Lebens durch Erfahrung kompetenter werden (können), um einen Weg aus einem Wald zu finden, so entwickeln wir vermutlich auch unterschiedliche und in der Folge kompetentere Sichtweisen für den Begriff Schönheit. Dazu eine möglicherweise seltsam anmutende gedankliche Metapher:
So wie in unserer kommerziellen Gegenwart Geld dann entsteht, wenn wir Schulden machen, so entsteht Schönheit dann, wenn wir diesen Begriff etwas oder jemandem zuweisen und damit codieren.

Der Wert dessen, was wir mit Schönheit attribuieren [2] basiert auf der generellen Verfügbarkeit und damit der Option zum Austausch mit Gleichgesinnten, bei gleichzeitiger Begrenzung, also der relativen Unverfügbarkeit [2].
Wir sehen, unsere Welt kann aus vielen Perspektiven kommerziell betrachtet werden.

Der Vergleich erscheint vermutlich trotzdem manchen etwas sperrig und willfährig.
Es geht mir um die Frage, welchen Anteil das Attribut [2] Schönheit aus einem gesellschaftlichen Diskurs erhält oder ob es Schönheit unabhängig einer definitorischen Festlegung durch uns Menschen geben kann?
Meine Position dazu in einem Leitsatz:

Ist ein Sonnenuntergang schön, auch ohne dass dieser – durch wen auch immer – so bezeichnet und damit Teil eines Zeichenvorrats wird?
Wenn wir eine Strasse entlang gehen und dort in einer schattigen Nische ein feuchtes Stück alten Holzes sehen, auf dem sich eine zarte Moosschicht gebildet hat: Was macht dieses Objekt für uns zu einem schönen Gegenstand?
Wenn wir während eines Gesprächs mit einer fremden Person von dieser spontan, einfach nur als Ausdruck dessen, was zum Ausdruck kommen soll, mit einer behutsamen Bewegung am Arm berührt werden. Warum empfinden wir diese Geste als schön und vergessen sie lange nicht?

Es wird schnell klar: Wir würden uns in der Hoffnung auf eine finale Definition der Frage nach dem Nukleus dessen, was Schönheit bedeutet, in der Endlosigkeit diffuser Subjektivität wiederfinden.

Denn wie der Glauben, wie die Frage, was Liebe bedeutet oder ob es Schicksal und Fügung geben kann (die andere Seite des Zufalls), immer obliegt dies der Deutung und damit einer Decodierung.

Das Zitat Schönheit liegt im Auge des Betrachters, welches dem griechischen Geschichtsschreiber Thukydides 454 v. Chr. – ca. 396 v. Chr., zugeschrieben wird, schlägt einen Bogen an den Beginn dieses Textes. Es ging mir dort um die Frage, was wir scharf sehen, wirklich klar und eindeutig bzw. so exakt, wie es unsere Augen für unsere Existenz vorgesehen haben.

Wir sprachen dabei von Bildüberlagerungen und den Tricks, die unser Gehirn beherrscht, um uns in der Illusion zu wiegen, wir würden tatsächlich klar und präzise unsere Welt wahrnehmen.
Das ist jedoch nicht so und macht eine Bestimmung des Begriffs Schönheit so schwierig.

Vielleicht ist dies vergleichbar mit jenen kleinen, unscharfen und dunklen Flecken, welche wir irgendwann dann in unserem Leben beim Sehen bemerken, wenn wir entspannt, ziellos und ohne einen wirklichen Fokus uns den Bewegungen unserer Augen hingeben. Doch wir schaffen es nie, diese kleinen grauen Inseln einzuholen, sie in den Blick zu nehmen.

Es gibt Tiere, von denen wir wissen, es gibt sie wirklich. Doch sie bleiben auf Distanz. Immer dann, wenn wir denken, wir würden sie klar sehen oder überhaupt einen Blick auf sie erhaschen, sind sie auch schon verschwunden und wir zweifeln für einen Moment an unserer Wahrnehmung. War es wirklich so? Habe ich das wirklich gesehen? Habe ich das tatsächlich erlebt?

Der Schweizer Zoologe Heini Hediger, 1908 – 1992, nannte im Jahr 1934 dieses Verhalten der Tiere Fluchtdistanz. Damit beschrieb er die von einem Tier akzeptierte Distanz, bevor es vor dem [spekulativen] Angreifer flieht.
Es kann gleichzeitig jene Distanz [2] beschreiben, die zum furchtauslösenden Objekt bzw. einer damit verbundenen Situation aktiv hergestellt wird. Mit der Absicht, es im Blick zu behalten. Oder zur Sicherung der eigenen Existenz. Vielleicht auch nur, um die Situation kontrollieren zu können.

In der Medientheorie gibt es den Begriff Simulakrum. Dies sind – kurz gesagt – graduell diffuse Trugbilder (Chimären), die durch Unmöglichkeit einer Fixierung die Betrachterinnen und Betrachter im Unklaren lassen und gleichzeitig überfordern, da die Verführung bzw. der Zwang zum Hinschauen zu gross ist.

Wir sind dabei Konsumenten und Exponenten zur gleichen Zeit. Wir konsumieren die Welt um uns herum, fressen uns durch die Zeit und die Welt wird dabei zunehmend zur subkutanen Untermenge [2], zu einem Substrat unserer Exponiertheit, einer Einverleibung ähnlich.

Gleichsam einer Singularität [2] [3], die keinen wesentlichen Unterschied macht und trotzdem auffällt, so scheint sich die Welt um uns herum unter einem gemeinsamen Code zu nivellieren, dessen Selbstähnlichkeit den Wert des Einzelnen zunehmend aufreibt, mindestens aber infrage stellt.

Gleichzeitig internalisieren wir die Welt taschentauglich und machen sie permanent abrufbar. Die Gravitation zurücklassend wird dadurch alles optimierbar, generierbar, konfigurierbar und smart.

Werden wir – als Version mit einem dritten Merkmal – zu digitalen Phänotypen, deren Unterscheidbarkeit nur noch durch den Zwang zum Unterschied verteidigt werden kann? Noch mal in einem Leitsatz:

Der französische Medientheoretiker, Philosoph und Soziologie Jean Baudrillard, 1929 – 2007, beschreibt die Kennzeichen eines modernen Simulacrum derart, dass die Unterscheidung zwischen Original und Kopie, Vorbild und Abbild, Realität und Imagination unmöglich geworden und einer allgemeinen „Referenzlosigkeit“ der Zeichen und Bilder gewichen sei.

Im Zwischenraum dieser Beschreibung ließe sich die Definition des Phänomens Schönheit erfolglos verorten.
Niemand würde behaupten, es gäbe nichts Schönes. Schönheit wäre nur eine Simulation, ein unbedeutendes Trugbild.

Menschen werden als Genießer geboren.
Auf der anderen Seite, technisch formuliert und bar jeder Poesie könnte man dies auf einen biochemischen Prozess unseres Gehirns reduzieren, welcher final lediglich das Ziel verfolgt, unser evolutionäres Potenzial ideal auf die folgende Generation portieren zu können.
Wie trostlos.

Wenn wir jedoch ohne Lösung verharren, was Schönheit sei, ist vielleicht ein Blick aus der divergenten Perspektive interessant. Der US-amerikanische Philosoph Nelson Goodman, 19061998, hat den Begriff des Paradox der Hässlichkeit definiert.

In dieser Betrachtung konzentriert sich Nelson Goodman auf das Phänomen, alles Hässliche könne auch seinen Reiz haben, auf einer anderen Ebene Menschen faszinieren und auf unheimliche Weise anziehend wirken.

Die Dissonanz, die Asymmetrie oder der kleine Bruch in der Perfektion stimuliert die Aufmerksamkeit jener Augenpaare, die in ihrer Welt der Unschärfe einen Punkt suchen, der Sinn macht und wert ist, betrachtet zu werden.

Die Frage nach dem zu Schönen ist dabei wohl schwerer beantwortbar als jene nach dem zu Hässlichen. In der Gravitation der Ästhetik scheinen Menschen eine Art Konsensraum darin zu haben, was visuell unerträglich ist. Vielleicht und vornehmlich dann, wenn es ihre eigene Existenz bedroht und man nur noch mit Angst reagieren kann.

Doch ich spreche bewusst von einem Raum, denn die Unterschiede der ethischen Einordnung durch unsere sinnliche Erfahrung scheinen gross und sind vermutlich immer dominiert durch kulturelle Prägungen.

Es ist für manche vielleicht frappierend banal, wenn wir hier noch einmal den Satz die Schönheit liegt im Auge des Betrachters zitieren.
Die Perspektive in Raum und Zeit formt das Gesehene und Wahrgenommene in uns zu einer dezent subversiven Stimulanz. Immer den nächsten Kick vor Augen…

Vielleicht ist es schlicht so einfach, dass das Leben – wie die Muskeln unseres Körpers – immer eine gewisse Spannung braucht, um in Bewegung zu bleiben.
Immer auf der Suche nach dem nächsten (neuen) …?

Somit ist der Raum zwischen dem Schönen und dem Hässlichen vielleicht ein gutes Motiv für die Bühne des Lebens selbst, in der wir uns in einer permanenten Katharsis mit der Oberfläche konfrontieren, uns stossen oder auch erfreuen. Stets auf der Suche und ohne die Aussicht, jemals anzukommen.
Bis zu unserem Ende und selbst dann bleibt die Frage nach dem Schönen ohne Antwort.

Mit einem Zitat von Kurt Tucholsky, 1890 – 1935, will ich die drei Texte zum Thema Schönheit zu einem Komma führen, denn wir haben ja nichts erreicht und all die Worte mutieren zu einem Gefühl, das nicht beschrieben werden kann.

Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudele durch die Welt. Sie ist so schön: Gib dich ihr hin, und sie wird dir gegeben.

Kurz Tucholsky

Oder wie der Tierfilmer, Naturforscher und Schriftsteller David Attenborough, *1928 einmal sagte:

Wer beim Anblick eines Vogels nichts fühlt, wird mich nicht verstehen. Und wer das Gefühl kennt, dem muss ich es nicht erklären.

David Attenborough

Für alle, die gerne den ersten Teil lesen wollen: SCHÖNHEIT_1 [zeitlos]

Für alle, die gerne den zweiten Teil lesen wollen: SCHÖNHEIT_2 [zahlen]


Wer doch lieber auf Papier lesen möchte, findet hier das PDF.


© Carl Frech, 2024

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01 Bei Textauszügen in Ausschnitten, zum Beispiel als Zitate (unter einem Zitat verstehe ich einen Satz oder ein, maximal zwei Abschnitte), bitte immer als Quelle meinen Namen nennen. Dafür ist keine Anfrage bei mir notwendig.

02 Wenn ein Text komplett und ohne jede Form einer kommerziellen Nutzung verwendet wird, bitte immer bei mir per Mail anfragen. In der Regel antworte ich innerhalb von maximal 48 Stunden.

03 Wenn ein Text in Ausschnitten oder komplett für eine kommerzielle Nutzung verwendet werden soll, bitte in jedem Fall mit mir Kontakt (per Mail) aufnehmen. Ob in diesem Fall ein Honorar bezahlt werden muss, kann dann besprochen und geklärt werden.

Ich setze in jedem Fall auf Eure / Ihre Aufrichtigkeit.

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