LERNEN_5 [prozesse]

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Vielleicht würden wir leichter lernen, wenn wir dem Ausprobieren und Scheitern eine grössere Chance geben würden.

Shortcuts zu einzelnen Unterthemen bzw. zentralen Stichworten in diesem Text:
Urvertrauen ||| Spiegelei ||| Prozess = Prinzip ||| Supervenienz ||| Mangrovenwälder ||| Logik ||| Beobachtung ||| Spiel ||| Lernfähigkeit ||| Lernprozesse

Wenn wir über das Thema Lernen länger nachdenken, dann wird man mit der Frage konfrontiert, ob Leben nicht immer ein Prozess der Anpassung ist. Es wäre zwar schön, wenn sich die Welt permanent auf uns einstellen würde, doch das ist nicht so.
Vermutlich treibt uns der Wunsch nach maximaler Kontrolle der direkten Umwelt sowie unser Bedürfnis nach Sicherheit in die gleiche Richtung.

Beides zusammen scheint ein wunderbarer Humus zu sein, um die Verführungsangebote der ökonomischen Placebowelten auf unsere inneren Wunschzettel zum Abarbeiten zu diktieren.
Ich spreche hier gerne von einer Amazonisierung der Welt, besser unserer inneren Welt. Darum soll es hier aber nicht gehen. Wer mag, kann hier weiterlesen.

Charles Darwin, 1809 – 1882, prägte den Satz Survival of the fittest. Auch wenn die direkte Übersetzung vermuten lässt, es ginge um das Überleben der Stärkeren, so meinte er eher, dass jene am besten zum Überleben geeignet sind, die sich gut an die Bedingungen ihrer Umwelt anpassen können.
Wir können ihn nicht mehr fragen. Für den Ansatz dieses Textes passt die Interpretation der Anpassung aber besser.

Egal, wie perfekt wir alles planen und vorbereiten. Es bleibt immer nur eine Auswahl grenzenloser Möglichkeiten und wird dadurch auf das für uns Leistbare bzw. Überschaubare begrenzt.
Wie angenehm. Stellen wir uns vor, diese Begrenzung wäre nicht vorhanden. Wir wären grenzenlos verwoben mit allem. Ein dystopischer Gedanke, der sich wie ein endloses Fallen anfühlt. Gleich zu Beginn dieses Gedankens scheitern wir vermutlich schon an der Startlinie.

Gleichzeitig lassen wir uns gerne fallen. Solange wir aufgefangen werden. Der Wunsch, dem Urvertrauen möglichst ein Leben lang vertrauen zu können, ist allzu verführerisch. Maximale Sicherheit bei maximaler Freiheit [2]. Was für ein verwegener und doch so verständlicher Wunsch. Was für eine Hybris!

Unsere Fähigkeit zur Sprache und damit zum Artikulieren unserer Wünsche scheint nur bedingt eine Erweiterung unserer Möglichkeiten zu sein.
Die Wahrheit ist: Die Kompetenz zur [sprachlichen] Kommunikation (sie beginnt normalerweise irgendwann in der zweiten Hälfte unseres ersten Lebensjahres) reduziert erst einmal unsere Möglichkeiten, da jedes gesprochene Wort zum einen den Vorteil hat, einen Wunsch bzw. eine Absicht konkret benennen zu können, zum anderen aber auch den Ausschluss bedeutender anderer Optionen bedeutet, die bis dahin wunderbar funktionierten.

Erst im Laufe der Zeit wird unsere Fähigkeit zum Sprechen, zum Schreiben und damit auch zum Lesen mit viel Mühe zu einem Substitut für jene Phase in unserem Leben, in der wir mit Schreien, mit Weinen und Lachen, mit einer bestimmten Bewegung unseres Körpers, überhaupt mit unseren Emotionen relativ viel erreichen konnten.
Diese neuen Methoden der Teilnahme an der für unser Überleben relevanten Welt müssen wir lernen. Die Frage zu Beginn war: Ab wann sprechen wir überhaupt von Lernen?

Wenn wir etwas älter sind, sagen wir ca. sechs Jahre, und eine Person in einer Küche beobachten, die in einer Pfanne etwas zubereitet, dann beginnt ein Prozess der Vernetzung jener [begrenzten] Aktivitäten, die dort stattfinden und beobachtet werden können. Ein schlichtes, doch lehrreiches Beispiel:
Denken wir an die Zubereitung eines Spiegeleis (wir lassen hier die Fragen rund um die Ernährungsethik beiseite). Zu Beginn ist es ein kleines Wunder, dass damit etwas Essbares produziert werden kann.
Auch wenn wir dies schnell vergessen haben und als normal empfinden.

Durch wiederholte Beobachtung erkennen wir den Prozess und verstehen [wenn wir aufmerksam sind] damit verbundene Prinzipien, wie es möglich ist, dass jedes Mal aufs Neue ein leckeres Spiegelei auf dem Teller landet. Der Prozess ist der Ablauf in [scheinbar] festgelegten und reziproken Abhängigkeiten. Scheinbar darum, da wir davon ausgehen (müssen) es müsste so sein. Schon das ist ein wesentlicher Aspekt einer eher traditionellen Auffassung von Lernen.

Pausen sind offensichtlich nicht möglich. Das Prinzip wiederum löst sich irgendwann in dem Lernergebnis auf (es entsteht eine Regel), dass die Pfanne als Behältnis ein konstantes Objekt für den Prozess sein muss.

Gleichzeitig erfahren wir – hoffentlich ohne Schmerzen durch eine Verbrennung – dass diese Pfanne nur dann ihren Teil zu dem gewünschten Ergebnis beitragen kann, wenn sie erhitzt wird. Es benötigt daher eine Quelle für diese Energie in Form den notwendigen Hitze von unten. Prinzipiell haben wir damit einen zweiten konstanten Mitspieler gelernt, der zum Ergebnis fundamental (im Sinne des Wortes) notwendig ist.

Wir wollen uns nicht zu lange mit dem Ei als Ei beschäftigen. Wichtig ist hier nur, das Innere des Ei, nachdem es in die heisse Pfanne geschlagen wurde, brät auf einem Träger, damit es sich nach dem [Brat-] Vorgang leicht lösen lässt. Soweit ebenso banal wie klar.
Das Ei ist in dem Prozess eine Variable, indirekt auch der Trägerstoff (zb. Öl oder Butter). Wichtig ist, dass wir flott lernen: In einer Pfanne kann ich offensichtlich nicht nur Eier zubereiten!

Entweder durch Beobachtung oder später auch durch eigene Erfahrung lernen wir, dass wir mit den beiden Konstanten (Pfanne und Hitze), der eher generell wichtigen Variable eines Trägerstoffs (gegen das Anbacken) ziemlich viel in die Pfanne werfen können, was, wenn wir weitere Prinzipien berücksichtigen, essbar wird und – im besten Fall – auch schmeckt.

Kurzer Einschub: Stellen wir uns einen Moment vor, wie die Menschheit diesen Prozess vor ca. 780 000 Jahren (manche Studien gehen von 1,8 Millionen Jahren aus) für die Zubereitung von Nahrung über Hitze bzw. Feuer für sich entdeckte! Zurück zu unserer Gegenwart:

Wir lernen, wie unterschiedlich lange die einzelnen variablen Zutaten in der Pfanne bei unterschiedlicher Hitze liegen müssen, vielleicht mal gewendet werden sollten, um dann zusammen zu dem zu werden, was wir uns vorgestellt haben.
Mir ist die atemberaubende Banalität dieses Beispiels schon klar. Klar ist aber auch, wie komplex der Vorgang auf den unterschiedlichen Ebenen, nachdem wir dieses Grundprinzip gelernt haben, werden kann. Wenn wir darauf aufbauen lernen wollen!

Gewürze, Kräuter, unterschiedliche Zutaten, komplexe Abläufe der Reihenfolge und Wende- oder Rührvorgänge, aber auch unterschiedliche Intensität der Hitze, um nur einige weitere Grundsätzlichkeiten bei einem solchen Kochvorgang zu nennen.

Das vorangegangene Beispeil ist offensichtlich eine Metapher. Es geht mir um das Folgende:
Ein Prozess folgt immer einem Prinzip. Alles was wir tun, basiert auf der Kombination von Konstanten (Objekten, Elementen, Abläufen, Zutaten) und Variablen, die damit zwingend verbunden sind.
Ohne Konstanten entsteht kein Prozess, der unter Hinzufügung von Variablen neue Varianten zu entwickeln bzw. diese überhaupt erreichen zu können. Dazu gerne mehr hier.

Die Pfanne superveniert [2] über das Ei, wenn es ein Spiegelei werden soll. Ebenso die Hitze. Ohne diese konstanten Mitspieler in dem Prozess des Bratens gibt es kein Spielelei. Ganz einfach.
Wichtiger und der Grund für diese kleinteilige Beschreibung ist jedoch:
Ohne diese Erfahrung entsteht keine Kompetenz, um in der Folge und in der Zukunft noch ganz andere leckere Gerichte zaubern zu können.
Wobei es dann, nicht wie bei einem sechsjährigen Kind, gar keine Zauberei mehr ist, sondern einfach [erscheint] und ziemlich logisch.

Der Begriff der Supervenienz ist ziemlich sperrig, passt aber gut zu unserem Thema. Wir lernen die Abhängigkeiten dessen, was aufeinander folgt, bzw. welche Teile – wir könnten auch von Aspekten in einem Prozess sprechen – wir ändern können (diese reversibel wären oder auch in Teilen austauschbar) und welche nicht.

Wir bleiben noch einen Moment bei dem Beispiel mit dem Ei (Attribut A) in der Pfanne. Wir geben Salz (Attribut B) dazu, realisieren jedoch, dass es deutlich zuviel Salz war. Da sich das Salz bereits in der Freuchtigkeit aufgelöst hat, können wir es nicht mehr entfernen. Kurz gesagt, das Salz superveniert über das Ei, es ist versalzen. Auf der anderen Seite gehört das Salz zum erwarteten Geschmack eines Spiegeleis, mit anderen Worten, das Salz ist nicht von dem Ei abhängig, das Ei aber von dem Salz.
Darüber kann man nun schmunzeln. Die Ernsthaftigkeit des Themas bleibt jedoch erhalten.
Wir lassen das mal so stehen.

Wir sprachen eben von Salz und deren Nutzen für ein Spiegelei. Bäume brauchen Wasser zum Wachsen. Mangrovenwälder wachsen an den Küstenlinien der globalen Meere und sind verrückterweise salztolerant. Die Mangrovenbäume und Sträucher wachsen entlang der Küste und sind dem salzigen Brack- oder Meerwasser ausgesetzt.
Teilweise sind sie mit ihren teilweise unter dem Wasser aber auch über der Wasseroberfläche verlaufenden Wurzeln in der Lage, das Salz auszuschliessen, bevor es in ihren Organismus dringt. Teilweise sind sie in der Lage, diese einzulagern oder auch über einen bestimmten Kapilarvorgang über Salzdrüsen wieder auszuscheiden.

Die Wurzeln über der Wasseroberfläche sind daher überlebenswichtig, da darüber der zwingend notwendige Sauerstoff für Lebensfähigkeit der Pflanze in das System kommt.
Der Energieaufwand für diese Prozesse ist immens, warum die ca. 70 unterschiedlichen Mangrovenarten auch selten höher als fünf Meter werden.

Der Vorteil ist ein extrem dichter Bewuchs, der die Basis für komplexe und hochspezialisierte Lebewesen bildet. Das wäre ein eigenes und überaus spannendes Thema. Wichtig dabei ist nur, dass Mangroven durch ihre speziellen Eigenschaften zu den produktivsten Ökosystemen der Erde zählen.
Damit sind sie auch hervorragende Orte für die Sammelwirtschaft von Menschen, die dort allerlei essbare Lebewesen für ihre proteinreiche Ernährung finden. Besonders wichtig ist jedoch die Schutzfunktion von Mangrovenbewuchs an den Küstenlinien.

Bei Sturmflutwellen bieten Mangroven einen natürlichen und hochwirksamen Schutz vor Zerstörungen im näheren Landesinneren. Viele kontraproduktive bzw. systemische Faktoren, führen zum Rückgang der Mangroven an den globalen Küstenlinien, was vor allem durch den drohenden Anstieg des Meeresspiegel, die Verschmutzung durch Erdölgewinnung und die Trockenlegung ganzer Künstengebiete bedingt ist. Nicht zuletzt wird die Nutzung der Wälder als Nahrungsquelle dadurch zerstört. Was interessiert mich bei diesem Beispiel. Ganz einfach:

Immer geht es um die Einordnung eines Aspekts in ein System und damit ein Verständnis auf einer höheren Ebene bzw. Ordnung.
Wir sprechen von Lernen als einen Prozess und, wenn wir hier Beispiele für die Anwendung nennen (und seien sie auch noch so weit entfernt von dem, was wir erwarten würden) sprechen wir von einem Prinzip bzw. immer dann von Prinzipien, also Varianten der Anwendung (eines Prozesses) wenn wir etwas gelernt haben. Klingt kompliziert, ist aber für das Verständnis wichtig.
Mit einem Leitsatz könnten wir zusammenfassend sagen:

Dann haben wir gelernt, was der Unterschied ist, wenn wir Karotten zusammen mit Paprika und Tomaten in eine heisse Pfanne werfen und dafür besser unterschiedliche Zeitpunkte für den Bratvorgang pro Zutat wählen.

Nach allgemeinem Verständnis folgt Lernen einer gewissen Logik. Doch folgt daraus auch ein Verständnis darüber, was man verstanden hat?
Eigentlich geht um das Normalste der Welt: Die Beobachtung.

In Bezug auf das Thema Lernen im Zusammenhang menschlicher Wahrnehmung kann man den Standpunkt vertreten, jeder kommunikative Prozes entsteht vor dem Hintergrund einer situativen Chronologie.

Das bedeutet, Kommunikation (bzw. Interaktion) und jede darauf basierende Entscheidung (zB. eine Kaufentscheidung) hätten immer eine episodische Komponente. Eine oder mehrere Personen reagieren auf äussere Impulse, die mit ihrem bewussten (gesteuerten) oder unbewussten (ungesteuerten) Bedürfnis resonieren, sprich: mehr oder minder im Gleichklang und damit passend sind. Passend zu dem, was man erreichen wollte. Für den Fall, dass das klar ist.

Der Begriff der Episode spielt dabei eine zentrale Rolle. Jede Form von Leben und damit auch jede Form menschlicher Aktivität lässt sich erzählen. Sie ist narrativ vermittelbar.

Unsere Vorstellung von Gegenwart ist in diesem Kontext immer eine verifizierbare Zusammenstellung vergangener Einflüsse, die zu einem bestimmten [gegenwärtigen] Ergebnis geführt haben.
In diesem Zusammenhang begründen Menschen üblicherweise den Wert ihrer Erfahrung als eine [selbstbestimmte] Form von Leistung, die sich im Laufe des Lebens anhäuft (nicht zuletzt durch aktives Lernen) und von welcher man dann innerhalb einer bestimmten Situation profitiert.

Aus dieser Perspektive wird die Dauer des Lebens bzw. werden die innerhalb dieser Zeit gewonnenen Erkenntnisse zu einem eigenständigen Wert erhoben, der lediglich durch weitere Lebenszeit optimiert werden kann, wissend: Die Lebenszeit definiert final die Grenzen der Optimierung.

Eine Perspektive, die davon ausgeht, dass Erfahrung im Sinne eines Qualitätsbegriffes und der damit gewonnenen Kompetenz nicht proportional zur Lebenszeit steigt, sondern eingebunden ist in ein Wechselspiel unterschiedlicher, auch manipulatorischer Einflussfaktoren.
Dies ist in unserem westlichen Denken nicht zwingend beheimatet, da sie grundsätzliche bzw. ethische Fragen nach dem Sinn des Lebens berühren würde.

Es wäre schliesslich ernüchternd, wenn das Leben in seiner Chronologie nicht zu einem mehr und damit einem sinnstiftenden Ganzen geformt werden würde.

Ein einfaches und eindringliches Beispiel finden wir, wenn wir Kinder beim Spiel beobachten. Die Aufmerksamkeit von Kindern folgt in der Regel einem systematischen, besser systemischen Prozess, den man vermutlich als archetypisch [2] bezeichnen könnte.

Kinder bemerken in ihrer Umwelt etwas Neues, eine gewisse Form der Störung findet statt.

Ist die Neugier geweckt, dann beginnt, meistens aus Gründen [evolutionär bedingter] situativer Absicherung, eine Phase der Beobachtung, die üblicherweise zuerst kognitiv und schliesslich konkret [wenn erreichbar] angefasst und [real] zerlegt wird.

Das Zerlegen ist eine wichtige Basis für eine erste Ordnung [2], eine Art Vereinnahmung dessen, was die Aufmerksamkeit erregt hat und in dieser Phase dadurch bedeutsam ist.

Diese erste Form der Ordnung (auch wenn sie als Unordnung erscheint) ist gleichbedeutend mit dem Prozess des Entwerfens [2] [3]. Es entstehen neue Versionen des Vorgefundenen (professionell ausgedrückt: Konstanten werden über die Kombination mit Variablen zu Varianten).
Darüber sprachen wir schon weiter oben in diesem Text.

Es entsteht ein erstes Verständnis, ein Klärungsprozess, eine Erklärung der Möglichkeiten, die üblicherweise dem sozialen Umfeld (zB. den Eltern) vorgestellt werden.

Dieses Zeigen des Gemachten ist wichtig. Das Gezeigte fordert eine erste Bewertung, eine Einordnung von aussen, eine Reflexion, die dem Kind einen Deutungsraum für den nächsten Schritt ermöglicht (Relevanz = Sinn). Dieser wird danach wieder durch Hinterfragung der äusseren Einschätzung einem iterativen Prozess zugeführt. Der Ablauf beginnt mit neuen Variablen von Neuem. Das Kind sucht einen anderen Startpunkt in dem schon erprobten Ablauf (Prozess).
Oder es bricht alles ab.

Kinder erleben die Welt während ihrer frühen Entwicklungsphase meistens vollkommen neu. Die Einschätzung ist positiv oder negativ. Eine optimistische oder pessimistische Perspektive ist als Haltungsstrategie noch nicht oder nur undeutlich entwickelt.
Alles scheint möglich. Auf dieser Haltung gründet das schon angesprochene Urvertrauen, warum sich ein Kind in vollkommener Überzeugung in die Arme seiner Eltern [2] fallen lässt. Alles wird ohne Hinterfragung und damit in grenzenloser Komplexität aufgenommen.
Es gibt kaum einen Grund, sich wegen Komplexität Sorgen zu machen.

Das junge menschliche Gehirn ist in dieser Lebensphase nahezu schutzlos jedem äusseren Ausdruck ausgeliefert, warum sich vermutlich erklärt, dass bestimmte Sinne [2] (zB. das Sehen) erst im Laufe der Zeit nach der Geburt ihre volle Leistungsfähigkeit erreichen.

Dieser Zustand wird mit zunehmendem Alter relativiert. Eingeprägte Erfahrungen führen dazu, dass sich die Lernfähigkeit und -bereitschaft den jeweiligen Gegebenheiten anpasst und diese unterschiedlich effektiv bzw. effizient [2] verwertet.
Je nach den Umfeld- [2] und Einflussfaktoren. Man kann daraus schliessen, dass die jeweilige Lernfähigkeit mit der Intensität neuer Erfahrungen korreliert. Das heisst: Wenn immer weniger Neues passiert, dann nimmt die Fähigkeit zum Lernen (als Kompetenzgewinn) entsprechend ab.

Im Umkehrschluss darf man vermuten: Eine permanente Zufuhr neuer Erfahrungen bzw. die Offenheit für Neues hält die Lernkompetenz weitgehend aktiv. Dies ist selbstverständlich keine sehr tiefgehende Feststellung, kennen wir doch die Effekte, die durch Reisen, durch neue Beziehungen, durch jede neue Erfahrung unsere menschliche Fähigkeit zur Veränderung und damit auch Lernfähigkeit erweitern bzw. wachhalten.

Die Lernfähigkeit verläuft reziprok (hier: abnehmend) mit neuen Erfahrungen und impulsgebenden Eindrücken.
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass unsere Lernfähigkeit reziprok zu mehr neuen Erfahrungen steigt bzw. weniger schnell abnimmt.

Ich habe über die Jahre eine eigene Position entwickelt, wie sich Wahrnehmung bzw. der Umgang mit allem Neuen in Phasen verschiedener Intensität unterscheiden lassen. Je nach Bedeutung für unsere individuellen Motive (auf welchen dann auch eine bestimmte Motivation beruht) fallen diese unterschiedlich und damit für uns mehr oder weniger bewusst auf.

Eine Person versucht, das Offensichtliche zu beschreiben. Sie zerlegt (= analysiert) den Betrachtungsgegenstand multisensorisch.

Die Person versucht, potenzielle Funktionen des betrachteten Gegenstandes (übertragbar auf – komplexere – soziale Szenarien) zu beschreiben, mit dem Ziel einer ersten Einschätzung (im archaischen Kontext zum Zwecke der Sicherheit).

Die Person versucht, das Objekt in jenem Kontext des Umfeldes einzuordnen, in dem es wahrgenommen wird.

Die Person versucht, relevante Kontexte zwischen den Objekten (Objekt und Umgebung) zu erkennen.

An dieser Position des Wahrnehmungsprozesses entwickelt sich ein wichtiger Aspekt.
Die Person verlässt die [vorwiegend] rationale bzw. kognitive Ebene der Annäherung an ein potenzielles Verständnis dem Objekt gegenüber und entwickelt komplexere Fragestellungen, die zum einen Bewusstheit voraussetzen und zum anderen im Zusammenhang einer Lernsituation (bzw. Erfahrung) verstanden werden können.
Diese Phase der Wahrnehmungsverarbeitung unterscheidet möglicherweise den Menschen in einem wesentlichen Punkt als das weitestgehend domestizierte Wesen in der Natur.

Die Person entwickelt eine gedankliche und relationale Ebene zwischen den Objekten bzw. zwischen dem Beobachteten. Es wird über einen konkreten Nutzen einer Anwendung spekuliert bzw. über Variationen [2] dessen.

Die Person verbindet die Spekulationen über das Objekt bzw. das Beobachtete mit Erinnerungen an eigene Erfahrungen und versucht, mit dieser Kombination eine relevante Erkenntnis zu generieren.
Es werden Muster verglichen, die im Zusammenspiel der jeweiligen Persönlichkeit unterschiedliche Variationen erlauben (Prinzip: Konstante + Variable = Variante).

Im Zusammenspiel des systemischen (musterbezogen) Abgleichs der Beobachtung entwickelt die Person eine erste episodische [2] Perspektive. Das bedeutet, dem Objekt bzw. dem Beobachteten wird über die Spiegelung mit der Erinnerung (= Erfahrung) und die Spekulation über die korrekte Interpretation des Gesehenen eine Art Rolle, eine Aufgabe im Wechselspiel mit der direkten Umgebung zugewiesen (Suche nach einem Sinn, verbunden mit der Gefahr der Sinn- bzw. Belanglosigkeit).

Wenn das Interesse der beobachtenden Person bis zu dieser Phase besteht, wird in der Regel eine prospektive Perspektive auf das Objekt angestrengt.
Das bedeutet, die Person hat sich der Relevanz des Beobachteten so weit versichert, dass sie ein Motiv für eine eigene Vision entwickelt. Das Beobachtete wird mit der Fantasie der Person angereichert und dadurch potenziell neu interpretiert. Diese Ebene der innovierenden Sicht benötigt zwingend die Bereitschaft, einen disruptiven [2] [3] Prozess zu starten, welcher möglicherweise in einem Widerspruch zu der tatsächlichen Anwendung steht bzw. dann von anderen Personen nicht mehr identisch verstanden werden würde, da deren Wirklichkeit (und damit das Gelernte) des Betrachteten zu deutlich abweicht. 

Die hier genannten acht Phasen zum Thema Lernprozesse sind von mir aufgestellte Hypothesen, ein Ergebnis von Beobachtung und Erfahrung sowie dem Versuch, diese in einer [hoffentlich] nachvollziehbaren Logik zu formulieren.

Da alles im Prinzip ganz einfach sein kann und dann auch wieder nicht wird durch zwei Zitate deutlich, die ich gerne an das Ende dieses Textes zum Thema Lernen [prozesse] stelle.

Das erste Zitat ist von Konfuzius, 551 v. Chr. – 479 v. Chr.. Er sagte einmal sinngemäß:

Das Leben ist einach,
aber wir bestehen darauf,
dass es kompliziert ist.

Das zweite Zitat ist von Ludwig Wittgenstein, 1889 – 1951, das mehr oder weniger im Widerspruch dazu steht:

Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.
Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.


Das Bildmotiv zu diesem Text ist von Rolf Thum bzw. den Bestimmungen von Creative Commons.


Für alle die gerne den ersten Teil lesen wollen: LERNEN_1 [basics]

Für alle, die gerne den zweiten Teil lesen wollen: LERNEN_2 [verwertung]

Für alle, die gerne den dritten Teil lesen wollen: LERNEN_3 [hände]

Für alle, die gerne den vierten Teil lesen wollen: LERNEN_4 [geschichte/n]

Für alle, die gerne den sechsten Teil lesen wollen: LERNEN_6 [methoden?]

Für alle, die gerne den siebten Teil lesen wolen: LERNEN_7 [haltung!]

Für alle, die gerne den achten Teil lesen wolen: LERNEN_8 [+KI]

Für alle, die gerne den neunten Teil lesen wolen: LERNEN_9 [vision] > folgt

Für alle, die gerne den zehnten Teil lesen wolen: LERNEN_10 [post-vision] > folgt


Wer doch lieber auf Papier lesen möchte, findet hier das PDF.


Dieser Text entstand im Rahmen meines Forschungsprojektes mit dem Titel EDUCATION FUTURES im Sommersemester 2025. Hier die Erläuterungen zur Intention der Arbeit:

EDUCATION FUTURES

Transformation der Bildung und Anforderungen an neue Methoden.

Bildung gilt als die Währung der Zukunft und als zentraler Aspekt der verantwortlichen Gestaltung einer Welt von Morgen, deren Aufgaben exponentiell komplexer und zunehmend dynamischer werden.

Bildung generell und damit auch der Anspruch in Hochschulen orientiert sich an dem Ansatz vertikaler und inkrementeller Strukturen und der damit verbundenen Organisationen, während die Einflussfaktoren der Digitalität im Kern einer systemisch vernetzten und iterativen Logik folgen.

Wenn die gewohnten Aufgaben und Tätigkeitsfelder mit digitalen und automatisierten Routinen sowohl effizienter als auch variabler sowie die kommunikativen Anforderungen direkter erstellt werden können, dann drängt sich die Frage auf, was diese Entwicklung für das Zukunftsbild des Berufsfeldes Design und Kommunikation langfristig bedeutet.

Möglicherweise bedeutet dies, die Enge einer auf ein Fachgebiet konzentrierten Disziplinarität generell neu zu denken und Szenarien zu formulieren, in denen unterschiedliche Disziplinen agil und dynamisch ein gemeinsames Ziel zur Lösung eines Problems verfolgen.

Marvin Minski, einer der Gründerväter der Künstlichen Intelligenz, hat diesen Gedanken unter dem Begriff der Heterarchie zum Ausdruck gebracht. 
Ein Begriff, der auf einer Metaebene jede Struktur so variabel nutzt, damit ein iterativer Prozess eine hohe Qualität des Ergebnisses ermöglicht und das avisierte Ziel effizient erreicht.

Damit Bildung zu unserer Zukunft passt, brauchen wir neue Methoden, neue, auch radikale Ansätze sowie den Mut zur Spekulation und Improvisation, um den Aufgaben in unperfekten Welten gerecht zu werden.

Dies bedeutet vielleicht auch die Aufgabe grundlegender Überzeugungen, wie Wissen entsteht, wie Menschen ihr Potenzial entwickeln und wie eine inklusiv denkende Gemeinschaft zu einem kreativen Wettbewerb der besten Ideen zusammenkommt und sich von einem Maschinendenken löst, welches kreative und verantwortliche Lösungen nur mit dem Anspruch an Verdrängung und den kurzfristigen ökonomischen Erfolg verbindet.

Der zweite Teil der Forschungsarbeit bestand in der Ausarbeitung verschiedener Glossare mit dem Ziel, Methoden für die konkrete Anwendung in der Bildung nachvollziehbar zu beschreiben.

Methodenglossar_1 [kommunikation + design]
Methodenglossar_2 [innovation + workshop]
Methodenglossar_3 [debatte + diskurs]


© Carl Frech, 2005, überarbeitet 2025

Die Nutzung dieses Textes ist wie folgt möglich:

01 Bei Textauszügen in Ausschnitten, zum Beispiel als Zitate (unter einem Zitat verstehe ich einen Satz oder ein, maximal zwei Abschnitte), bitte immer als Quelle meinen Namen nennen. Dafür ist keine Anfrage bei mir notwendig.

02 Wenn ein Text komplett und ohne jede Form einer kommerziellen Nutzung verwendet wird, bitte immer bei mir per Mail anfragen. In der Regel antworte ich innerhalb von maximal 48 Stunden.

03 Wenn ein Text in Ausschnitten oder komplett für eine kommerzielle Nutzung verwendet werden soll, bitte in jedem Fall mit mir Kontakt (per Mail) aufnehmen. Ob in diesem Fall ein Honorar bezahlt werden muss, kann dann besprochen und geklärt werden.

Ich setze in jedem Fall auf Eure / Ihre Aufrichtigkeit.

LERNEN_8 [+ KI]

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LERNEN_7 [haltung!]

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LERNEN_6 [methoden?]

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